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Kommentar EU-Referendum in IrlandDie Iren blockieren Europa

Kommentar von Daniela Weingärtner

Eine Mehrheit der Bürger will eine bessere EU. Doch die stand bei dem Referendum nicht zur Abstimmung.

H alten drei Millionen Iren mit ihrem Nein zum neuen EU-Vertrag 480 Millionen Europäer auf? Das zu behaupten wäre unfair. Zuvor hatten schon Franzosen und Holländer in Volksabstimmungen mehrheitlich Nein zur EU-Verfassung gesagt. Und auch in den übrigen Mitgliedsstaaten stehen viele der heutigen EU skeptisch gegenüber.

Wie die Mehrheit der Europäer denken auch die Iren in Sachen Europa recht radikal. Sie wollen eine bessere EU oder gar keine. Doch diese Optionen standen beim Referendum nicht zur Wahl. Die Alternative lautete: Nizza-Vertrag behalten oder Lissabon-Vertrag bekommen. Die Iren haben sich für den Nizza-Vertrag entschieden, den sie 2001 schon einmal in einem Referendum abgelehnt hatten.

Mit Logik sollte man diesem Ergebnis nicht beizukommen versuchen. Es ging nicht um den Inhalt zweier Verträge, es ging um die Bekundung des Unmuts an der Politik im Allgemeinen und an Europa im Besonderen. Und so haben 3 Millionen Iren eben doch 480 Millionen Europäer blockiert - sich selbst eingeschlossen. Denn der neoliberale Binnenmarkt und das undurchschaubare Brüsseler Entscheidungsgeflecht bleiben allen erhalten - auch den Iren. Der zur Einstimmigkeit verdammte Ministerrat aus 27 Mitgliedern ist viel zu schwerfällig, um dringend nötige Reformen anzupacken. Ob Arbeitszeitrichtlinie, Klima- oder Sozialpolitik - auch in den nächsten 12 Monaten bis zur Europawahl werden die Europäer weiter täglich spüren, was es heißt, von einem geheim tagenden Ministerrat regiert zu werden, dessen Mitglieder anschließend daheim erzählen, das alles hätten sie so nicht gewollt.

Natürlich hätte weder die Verfassung noch der Lissabon-Vertrag die EU über Nacht in eine soziale Marktwirtschaft zurückverwandelt. Doch wäre der Einfluss des Europaparlaments auf Personal und Politiken deutlich gestärkt worden. Dadurch wäre auch den Wählern mehr Einfluss zugewachsen.

Im kommenden Juni hätte vielleicht eine Mehrheit der Europäer linke und grüne Europaabgeordnete ins Parlament gebracht. Die hätten einen Kommissionspräsidenten ihrer Wahl benennen und die europäische Sozialgesetzgebung in Schwung bringen können. Dazu wird es jetzt nicht kommen.

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8 Kommentare

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  • D
    dissenter

    Wie niedlich. Wäre der Lissabon-Vertrag in Irland angenommen worden, hätte in einem nächsten Schritt eine rot-grüne Mehrheit im europäischen Parlament einen rot-grünen Kommissionspräsidenten ins Amt gehievt und die Sozialgesetzgebung "in Schwung gebracht". Gab's das auf nationaler Ebene nicht schon mal? Mit dem Kommissionspräsidenten Schröder?

  • VV
    v, Viereck

    Sehr geehrte Redaktion sehr geehrte Frau Weingärtner,

     

    die Tendenz der taz ist für mein Empfinden offenbar weg von kritischer journalistischer Arbeit. Es wäre hilfreich, würden Sie, bevor Sie sich über die EU-Verfassung die mit Lissabon und Nizza oder was auch immer alles angeführt wird, einmal aus dem internet herunterladen. Dort gibt es nämlich die rd. Seiten starke Ausgabe. Daraus können sich dann ausgiebig informieren, wie ich es auch getan habe.

     

    Wer diesem Machwerk zustimmen kann, bzw. dafür votet bzw. unkritische Artikel veröffentlicht...nu n gut.

     

    Sie schreiben das die Iren gegen 480 Millionen Europäer gestimmt hätten. Sie vergessen allerdings hinzufügen, das hätten diese 480 Mill. Europäer wie die Iren das Wahlrecht über dieses Machwerk unfähige, korrupter und von Lobbyisten geleiteter Politiker, dann hätten mit Sicherheit mindestens auch von den 480 Millionen, 240 Millionen gegen diese Vertrag gestimmt. Hier einer demokratischen Wahl, die auch noch vom Volke direkt ausging undemokratische Tendenzen zu unterstellen, finde ich, mit Verlaub, ungeheuerlich. Als langjähriger taz-Leser, werde ich mich von Ihrer Zeitung, die sich kaum noch von den landläufigen, von den "Heuschrecken" beherrschten Medienlandschaft unterscheidet, sukzessive verabschieden.

     

    Mir vorzüglicher Hochachtung

     

    Graf Gerald von Viereck

  • BS
    Bernhard Stoevesandt

    Die Iren haben recht. Wenn es nur darum gegangen wäre einen neuen EU-Vertrag zu verabschieden, der die EU demokratischer, transparenter und nebenbei auch effizienter gemacht hätte, so wie es von vielen Medien behauptet wird, vermutlich hätten nur wenige Menschen gegen den Vertrag gestimmt. Doch darum ging es nicht - allein. An den Vertrag waren auch Inhalte gekoppelt: U.a. die Verpflichtung zu Militarisierung, die Ausweitung der Privatisierungspolitik und die Fortsetzung der Förderung von Atomkraft. Wenn europaweit Menschen zu diesen Inhalten befragt werden, dann ist es kein Wunder, wenn sie diese ablehnen. Doch über diese Inhalte wurde in den meisten Medien, so auch der taz so gut wie nie berichtet. Die zuständige EU-Korrepsondentin der taz, wie auch scheinbar fast aller anderen Medien verschwiegen schlicht derartige Inhalte, die in dem Vertrag festgeschrieben werden sollten. Genauso verhielten sich die meisten PolitikerInnen. Die viel beworbene Transparenz musste da lange gesucht werden. In der taz brauchte es erst das Referendum in Irland und einen Irlandkorrespondenten, der auf der Meinungsseite einmal von solchen Inhalten schreiben durfte, um die weiteren Inhalte des Vertrags zu beleuchten. Unter solchen Umständen, können wir den Iren nur dankbar und unseren Medien nur misstrauisch gesinnt sein, wenn es um solche weitreichenden Verträge geht.

  • MB
    Michael Bolz

    Mag sein, dass der "Einfluss des Europaparlaments auf Personal und Politik" durch den Lissabon-Vertrag gestärkt worden wäre; mag sein, dass vielleicht eine Mehrheit der Europäer linke und grüne Europaabgeordnete ins Parlament gebracht hätte; und dadurch die Chance gewonnen, einen Kommissionspräsidenten ihrer Wahl zu benennen und die europäische Sozialgesetzgebung in Schwung bringen zu können.

    Doch hier wird bereits zuviel spekuliert.

     

    Es ist deutlich erkennbar wer, wie und für wen in Europa Politik macht und dass die in der Vergangenheit gefallenen Entscheidungen überwiegend an den EU-Bürgern vorbeigingen.

    Würde es durch den Lissabon-Vertrag besser werden? Die Chancen dafür würden sich, wie oben angedeutet, erhöhen, nicht mehr und nicht weniger.

     

    Was trotzdem bleibt und hätten wir in allen EU-Ländern Volksreferenden abgehalten wäre diese Tatsache belegt, ist, dass die EU-Bürger genau spüren, wie die Politik an ihnen vorübergeht.

     

    Damit und in erster Linie sollte sich Politik auseinandersetzen - ein Vorgang der Zeit braucht, aber eine völlig neue und gleichwohl fundierte Basis für ein Europa schaffen könnte, wie wir es uns alle wünschen.

  • R
    Ralf

    Ja,ja die bösen Iren! Hätte man das doch gleich so wie die Deutschen geregelt, die ihr Volk darüber erst gar nicht haben abstimmen lassen! Sind Sie ernsthaft der Meinung das wir hier in Deutschland ein anderes Ergebnis vorzuweisen hätten, wenn sich unsere Regierung dem Risiko einer Volksabstimmung ausgesetzt hätte? Was sind denn "demokratische" Reformen wert, die ganz undemokratisch von oben verordnet werden? Wie gut geht es denn den Europäern mit ihrer Union? Offenbar doch nicht so gut wie man es immer wieder darstellen möchte, denn sonst würden Entscheidungen solcher Tragweite häufiger per Referendum beschlossen und nicht an der Mehrheit vorbei lanciert.

  • V
    vic

    "...Im kommenden Juni hätte vielleicht eine Mehrheit der Europäer linke und grüne Europaabgeordnete ins Parlament gebracht. Die hätten einen Kommissionspräsidenten ihrer Wahl benennen und die europäische Sozialgesetzgebung in Schwung bringen können..."

    Linke und Grüne? Wo sollen die denn herkommen?

    Von Pfarrer Hinze hörte ich bereits, den können sie nicht meinen, oder?

  • HK
    Hubert K.

    "Die Iren haben sich für den Nizza-Vertrag entschieden, den sie 2001 schon einmal in einem Referendum abgelehnt hatten". Die Iren sind jetzt also die Doofen und schuld an allem? Vorher waren es die Franzosen und Holländer. Immer also die wenigen Menschen, die überhaupt gefragt werden. Vielleicht wären es ansonsten auch die Deutschen? Was ist eigentlich mit den Politikern, die sich so gerne auf Festen feiern? Und die Bevölkerungen ihrer Länder dabei ausschließen. Und sich schon gar nicht auch nur die geringste Mühe machen, die Inhalte ihres Projektes für die Menschen nachvollziehbar und geduldig zu erläutern und zu diskutieren.Und dann die Menschen mittels Abstimmungen miteinzubeziehen. Statt dessen haben sich diese Leute gefeiert, wenn sie es 'mal wieder hinbekommen haben, ihre Bevölkerung auszuschließen. Mit Verlaub, aber dieser Umgang der Politiker mit den Menschen in EU-Europa stinkt zum Himmel. Und es ist nur der einfachste Weg, jetzt den Iren für irgendwas die Schuld geben zu wollen.

  • A
    Anton

    Sehr geehrte Frau Weingärtner, vielleicht würden ja ALLE 480 Millionen Einwohner der Mitgliedsstaaten der EU (Denn nur um die geht es.Oder gehören Weißrußland, die Ukraine, Serbien, Rußland usw. ihrer Meinung nach nicht mehr zu Europa sondern schon zu Asien) gegen diese neoliberale EU stimmen. Wenn sie denn abstimmen dürften.Aber dann müßten die Politiker ja einiges von ihrem Handeln erklären. Und allein dieses gewaltige Demokratiedefizit entlarvt die schönen Reden unserer politischen Klasse. Wer profitiert denn von dieser potentiellen neoliberalen Freihandelszone? Der Normalo? Sicher nicht. Denn was er alles kaufen soll, kann sich der Normalbürger/'Normal'verdiener' (auch dank der - in allen Ländern natürlich nur gefühlten - Teuerung in Europa) bald nicht mehr leisten. Und die Unternehmensgewinne steigen und steigen, und die großen Vermögen wachsen und wachsen. Deshalb: ein Danke an die Iren!