Kommentar EU-Parlamentsvize abgesetzt: Ein gutes Signal aus Straßburg
Die EU-Parlamentarier verteidigen, wenn es hart auf hart kommt, tatsächlich die die gemeinsamen Werte der Europäischen Union. Prima!
D ie Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Jeder weiß, dass die EU neben der politischen und wirtschaftlichen Union vor allem eine Wertegemeinschaft ist. Doch was heißt das im Alltag? Haben die europäischen Werte tatsächlich Relevanz? Bekennen sich die EU-Parlamentarier zu diesen Werten, wenn es hart auf hart kommt?
Ja, sie tun es! In dieser Woche erlebte das Europäische Parlament eine Sternstunde seiner Geschichte: Mit großer Mehrheit verteidigten die EU-Abgeordneten ihre polnische Kollegin Roza Thun gegen den infamen Vorwurf der Nazi-Kollaboration, nur weil sie dem deutsch-französischen Kulturkanal ARTE ein Interview gegeben hatte.
Ryszard Czarnecki, einer der 14 Vize-Vorsitzenden des Europäischen Parlaments, verhöhnte mit seiner gewollten Beleidigung der polnischen Oppositionellen, der er eine Szmalcownik-Tradition – also Judenverräter-Tradition – zuschrieb, nicht nur diejenigen Juden, die im zweiten Weltkrieg Opfer der Nazi-Kollaboration wurden, sondern auch die ganze polnische Nation.
Dabei hatte es im deutsch besetzten Polen erbitterten Widerstand gegen die Nazis gegeben. Zahlreiche christliche Polen riskierten ihr Leben, um Juden vor dem sicheren Tod zu retten. Auch wenn es Szmalcowniks gab, die Juden erpressten oder an die Nazis auslieferten, so kann doch keineswegs von einer polnischen Tradition des Judenverrats die Rede sein.
Da Czarnecki die Beleidigung nicht zurücknehmen wollte, setzten die EU-Parlamentarier den Vize-Vorsitzenden mit 447 gegen 196 Stimmen ab. Czarnecki habe sich – so heißt die offizielle Begründung – „eine schwere Verfehlung“ zuschulden kommen lassen, als er Roza Thun „auf eine Stufe mit polnischen Nazi-Kollaborateuren während des Zweiten Weltkriegs“ stellte. Czarnecki wird weiterhin Mitglied des Europäischen Parlaments bleiben, aber das Parlament künftig weder im Namen seines Präsidenten vertreten noch die Plenardebatten leiten.
Dieses klare Signal des Europäischen Parlaments kam in Polen gut an, gerade auch weil Czarnecki und seine Parteifreunde an ihren Schmalzownik-Vorwüfen festhalten und die Entscheidung der EU-Parlamentarier „undemokratisch“ nennen. Viele sind froh, dass auf die Abgeordneten in Straßburg Verlass ist. Wenn es hart auf hart kommt, verteidigen sie tatsächlich die gemeinsamen Werte der Europäischen Union. Das ist sehr gut!
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