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Kommentar EU-KlimagipfelDie schnellste Schnecke

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Die EU hat sich neue Klimaziele gegeben. 40-27-27 lautet die Formel. Im internationalen Vergleich ist sie fortschrittlich. Aber rettet sie den Planeten?

Eine grünere Wirtschaft zu schaffen? Gemach. Bild: dpa

D ie EU hat endlich eine Formel zur Rettung der Welt gefunden. Sie lautet 40-27-27: Der 28-Staaten-Verbund will bis 2030 gemeinsam 40 Prozent weniger CO2 ausstoßen als noch 1990. Dazu soll 27 Prozent des gesamten Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen stammen. Außerdem soll die Energieeffizienz um 27 Prozent erhöht werden.

Das ist im Vergleich zum Rest der Welt kolossal, allerdings nur, weil der Rest der Welt bisher mit Klimaschutz nichts am Hut hatte. Ansonsten tut das alles niemandem weh. Die Vorgaben zur Energieeffizienz etwa können volkswirtschaftlich ohne ein Cent Zusatzkosten erreicht werden: Am Anfang stehen Investitionen, die sich wegen den Einsparungen wieder amortisieren. Das hat nicht Greenpeace ausgerechnet, sondern die EU-Kommission selbst.

Vor allem von deutschen Experten wird diese Rechnung erheblich in Zweifel gezogen: Man könnte auch wesentlich mehr Energie sparen, die Kosten würden sich von selbst wieder einspielen. Die Technologien dazu wären längst da, sie brauchen nur einen Markt. Die EU hat es schlicht versäumt, den innovativen Teil der Wirtschaft, der mit Klimaschutz Geld verdient, zu stärken.

Aber was bedeuten die Ziele nun für das große Vorhaben: den Klimawandel zu mäßigen, eine grünere Wirtschaft zu schaffen? Werden Historiker in 500 Jahren zurückblicken und sagen: Das war der Tag, an dem die Menschheit den Klimawandel stoppte? Um das zu beurteilen, muss man bedenken, was Europa alles nicht kann. Die EU steht für 10 Prozent der globalen Emissionen an Treibhausgasen, Tendenz sinkend. Rein numerisch fällt es nicht ins Gewicht, ob Brüssel Europa nun 30, 40 oder 50 Prozent weniger CO2 verordnet.

Gewaltige Differenz

Dazu ein Beispiel: Sechs Provinzen in China haben kürzlich verkündet, bis 2017 ihren Kohleverbrauch senken zu wollen. Sollten sie die Maßnahmen bis 2020 verlängern, würde der CO2-Ausstoß Chinas zwar weiter steigen, jedoch langsamer als bisher. Doch die Differenz ist gewaltig: Im Jahr 2020 würden der Atmosphäre wegen diese langsameren Anstiegs fast drei Mal so viele Klimagase erspart bleiben, als durch die europäischen Klimaschutzmaßnahmen. Sollten China, die USA und andere Staaten beim Klimaschutz weiterhin nicht mitmachen, dann könnte Europa kollektiv auf den Mars auswandern: der Klimawandel auf der Erde wäre nicht gestoppt.

Doch ob die Welt sich Europa anschließt entscheidet sich: jetzt. Parallel zum Gipfel in Brüssel trafen sich diese Woche in Bonn Delegierte aus 194 Staaten, um über ein neues, umfassendes, weltweites Klimaschutzabkommen zu verhandeln. Bis Frühjahr 2015 sollen die Staaten der Welt der UN melden, welche nationalen Klimaschutzziele sie sich setzen wollen. Im Dezember 2015 soll das Abkommen in Paris verabschiedet werden.

Klimaschutz ist ein Wettbewerbsvorteil

Noch ist so ziemlich alles offen und das größte Dilemma ist ein klassisches aus der Spieltheorie: Klimaschutz wird allenthalben als Wettbewerbsnachteil aufgefasst. Wer also als erstes seine Ziele nennt ist im Nachteil: die anderen können dann einfach darunter bleiben und haben einen Vorteil. Deshalb bewegt sich keiner.

Lösbar ist das nur, wenn einer den Teufelskreis durchbricht und vorprescht. Das hat Europa jetzt getan. Es ist der erste Wirtschaftsraum, der sich verbindliche Ziele bis 2030 gibt, ohne Vorbedingungen an den Rest der Welt. Das gab es zwar schon einmal: Mit dem Kyoto-Protokoll, das alte, globale Klimaschutzabkommen, an das sich am Ende fast nur noch EU-Staaten hielten. Doch die Zeiten haben sich geändert. Chinas Städte versinken im Smog, die Regierung in Peking bewegt sich. Barack Obama hat den USA Klimaziele bis 2020 verordnet, die zwar eher durch Rechentricks bestechen, aber immerhin.

Und, Europa bringt wichtige Erfahrung mit, wie Klimaschutz zu managen ist. Also wie die Maßnahmen überwacht, gemessen und bewertet werden können. Das ist für ein verbindliches, globales Abkommen extrem wichtig: Nur wenn keiner mogelt, machen auch alle mit.

Anders ausgedrückt: Europa ist wieder Vorreiter im Klimaschutz. Die schnellste Schnecke des Planeten.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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