Kommentar EU-Emissionshandel: Die Lobby knurrt
Die Emissionszertifikate sind derzeit so billig, dass sich Klimaschutz kaum mehr lohnt. Jetzt sollen sie verknappt werden.
M anchmal verhalten sich Interessenverbände der Industrie wie Köter, die gerade ein Steak erbeutet haben. Je größer das Stück, desto größer die Angst, man könne es ihnen wieder abnehmen. Jeder, der sich nähert, wird drohend angeknurrt, auch wenn Herrchen ihnen nur den Napf säubern will.
Ein solches Schauspiel ist derzeit unter Beteiligung des Bundeswirtschaftsministeriums beim EU-Emissionshandel zu beobachten. Eine komplexe Materie, ergo von der Öffentlichkeit wenig beachtet, also prädestiniertes Feld für Lobbyarbeit, die apokalyptische Bilder in die Landschaft malen kann – etwa das eines deindustrialisierten Europa. Frappierend, denn der Emissionshandel ist das wichtigste Instrument zum Klimaschutz in der EU. Die Staatengemeinschaft vergibt oder verkauft Zertifikate, die zum Ausstoß von Klimagasen berechtigen, an die Industrie. Die EU verknappt die Zertifikate allmählich, um Druck auszuüben, schonender mit Energie umzugehen.
Für diese Zertifikate gibt es einen Markt, auf dem sie gehandelt werden wie Aktien. Momentan sind sie aber so billig, dass sich Klimaschutz kaum mehr lohnt. Alles, was die EU-Kommission jetzt sagt, ist: Wir behalten uns künftig das Recht vor, die Zertifikate später auszugeben als geplant. So soll der Markt beruhigt werden.
ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Umwelt der taz.
Die Industrie droht wie immer mit Standortverlagerungen, vor allem die Stahlwerke seien bedroht. Man muss dazu wissen, dass deren Lobbyisten in Brüssel bereits ein sehr dickes Steak erbeutet haben. Die EU hat ihnen so viele Zertifikate gegeben, dass nicht wenige mit deren Verkauf sogar zusätzliches Geld verdienen. Der Versuch, diesen Misstand geradezurücken, lässt die Branche aufheulen. Dabei will die EU nur den Napf säubern, sprich: Klimaschutz wirtschaftlich machen.
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