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Kommentar Doping-UrteilIm Zweifel für die Angeklagten

Kommentar von Johannes Kopp

28 russische Sportler waren wegen systemischen Dopings verurteilt worden. Das Schiedsgericht hebt ihre Strafen auf. Das sollte man wertschätzen.

Auch das Urteil schlägt Wellen: Die Disqualifikationen von etlichen Medaillengewinnern von Sotschi 2014 wurden rückgängig gemacht Foto: dpa

E rst lebenslange Sperre, dann Freispruch. Wenn Urteile sich von einem Extrem ins andere wenden, dann kann das nur daran liegen, dass die jeweils Urteilenden völlig Unterschiedliches in den Blick genommen haben. In diesem Fall ist das Verzwickte, dass man für beide Sichtweisen gute Gründe vorbringen kann.

Das Internationale Olympische Komitee wollte – ausgehend von der Erkenntnis, dass in Russland systemisches Doping betrieben wurde – die Profiteure des Systems abstrafen und an ihnen ein Exempel statuieren. Angesichts der massiven Betrugsversuche wurde vom IOC ein entsprechend starkes Zeichen erwartet. Das Ergebnis waren 43 lebenslange Sperren für russische Sportler. Das Prinzip Abschreckung war dabei leitendes Motiv.

Der Internationale Sportgerichtshof CAS hat nun nach dem Einspruch der russischen Sportler 28 lebenslange Sperren in einen Freispruch verwandelt. Elf weitere exkommunizierte Russen dürfen bereits nach den Winterspielen in Pyeongchang wieder mitmachen. In seiner Urteilsfindung, betonte das CAS, habe man sich strikt darauf beschränkt, über die jeweils individuelle Verantwortung zu richten. Die Beweislast sei nicht ausreichend gewesen, um zu einem anderen Urteil zu kommen.

Die Wellen der moralischen Empörung werden nach diesem CAS-Richterspruch weltweit gewiss hoch schlagen. Dass aber in diesem Fall auch im Sport rechtsstaatliche Grundsätze – im Zweifel für den Angeklagten – nicht außer Kraft gesetzt werden, sollten alle wertschätzen, die nicht selbst Opfer eines Willkürsystems werden wollen.

Russische Sportler stehen derzeit unter Kollektivschuldverdacht. Gemeinsam mit ihnen will man auch das System in Haftung nehmen. Das IOC sollte sich stattdessen mehr über Sanktionsmaßnahmen Gedanken machen, die direkt auf die verantwortlichen Organisatoren des systemischen Dopings in Russland zielen. Diese wollen mit den Erfolgen ihrer Athleten nationale Stärke demonstrieren. Der Entzug von sportlichen Großveranstaltungen etwa würde sie gewiss schmerzen.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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5 Kommentare

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  • "Dass aber in diesem Fall auch im Sport rechtsstaatliche Grundsätze – im Zweifel für den Angeklagten – nicht außer Kraft gesetzt werden, sollten alle wertschätzen, die nicht selbst Opfer eines Willkürsystems werden wollen."

     

    Sehr richtig!

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Gleichzeitig ist es aber - besonders mit den jüngsten Klarstellungen darüber, wie leicht sich die Probengefäße öffnen lassen - auch die klare Ansage: Ihr könnt betrügen wie ihr lustig seid, es interessiert uns nicht, es hat keinerlei Konsequenzen.

       

      Ob dies auch sehr richtig ist?

      • @Sternenstaub:

        Die Einhaltung der Grundlagen unserer Rechtsordnung ist wichtig. Ohne Beweise keine Verurteilung. Oder möchten Sie in den Knast wandern, weil jemand behauptet, dass Sie theoretisch die Möglichkeit hätten, einen Mord zu begehen?

         

        PS: Wenn der Nachfolger Schnitzlers zeigt, dass es möglich ist, ein Flächen zu öffnen, ist das kein Beweis dafür, dass dies auch von einer bestimmten Person getan wurde.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Das ist nicht der Punkt. Die jüngsten Entwicklungen sind eine Kapitulation vor Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit. Der Skandal ist nicht der "Freispruch". Der Skandal ist: Man hat bewusst einen Weg gewählt, der zur Konsequenzlosigkeit führt, während man gleichzeitig den Weg für weiteres Doping eröffnet. Und das hätte man von vorne bis hinten durchaus anders gestalten können. Ich halte es daher für reichlich sinnlos mit einem "sehr richtig" auf den Hinweis zu antworten, wie gerecht doch jetzt dieser Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagte" wäre, wenn damit gleichzeitig Ungerechtigkeit zur grundsätzlichen Norm wird. Wenn das Gesamte keine Qualität hat, ist es sinnlos sich an die Qualität solcher Details zu klammern.

          • @Sternenstaub:

            Es ist genau der Punkt. Wir reden von den Grundlagen unserer Rechtsordnung, die sie von Autokratien und Diktaturen unterscheiden. Nämlich genau die Tatsache, dass Urteile bei uns nach Beweisen gefällt werden, nicht weil sie politisch gewollt sind.

             

            "Man hat bewusst einen Weg gewählt, der zur Konsequenzlosigkeit führt, während man gleichzeitig den Weg für weiteres Doping eröffnet."

             

            Die ganze Affäre hat ja schon weitreichende Konsequenzen gehabt. Das Urteil hat nur gezeigt, dass der Verfolgungseifer auch Grenzen hat.

             

            Und natürlich stehen die Tore für weiteres Doping weit offen. In allen Ländern. Das liegt aber daran, dass das ganze System absurd ist. Es versucht Dinge lückenlos zu kontrollieren, die nicht zu kontrollieren sind.