Kommentar Diätenerhöhung: Selbstdemontage vor dem Wahlkampf

Die gestoppte Diätenerhöhung zeigt: Die große Koalition agiert vollkommen kopflos. Vor allem die SPD geht völlig auf, sich selbst zu ramponieren.

Eilig und in letzter Minute haben die Spitzen von Union und SPD aus Furcht vor dem Volkszorn die geplante Erhöhung der Abgeordnetendiäten gestoppt. Nichts könnte die Kopflosigkeit der großen Koalition besser illustrieren, gäbe es dafür nicht schon so viele andere Beispiele. Noch im November hatten deren Abgeordnete für die Erhöhung ihrer Entschädigungen gestimmt - bis 2010 sollten sie schrittweise steigen, um insgesamt 16 Prozent auf mehr als 8.100 Euro. Doch die jüngste Etappe ist seit Dienstag vom Tisch. Nur neun Tage bevor sie verabschiedet werden sollte, bangten zu viele SPD- und Unions-Abgeordnete wegen der Folgen für ihre erneute Nominierung für den Bundestag.

Denn es gibt vertretbare Gründe, den Abgeordneten mehr Geld zu gönnen: Seit 2003 gab es keine Diätenerhöhung mehr, und in den vergangenen zehn Jahren blieben ihre Entschädigungen insgesamt sogar hinter der Inflationsrate zurück. Die geplante Anpassung der Diäten war daher kein Zeichen für Raffgier unter Parlamentariern, wie manche Boulevardzeitungen gerne behaupten.

Doch die Koalitionäre hatten offensichtlich vergessen, dass die Höhe ihrer Bezüge immer ein Aufregerthema ist. Wie konnten sie nur glauben, eine insgesamt 16-prozentige Erhöhung durchdrücken zu können, während gerade gesetzliche Mindestlöhne und Altersarmut die Themen der Stunde sind? Wer um Himmels willen dachte, dutzende um ihr Mandat fürchtende SPD-Abgeordnete kämen da nicht ins Wanken? Die Antwort lautet: Die Spitzen der Koalitionsfraktionen.

Vor allem bei der darniederliegenden SPD vergeht keine Woche ohne Selbstdemontage. Egal, ob es um die Bahnreform, die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I oder den Umgang mit dem Dalai Lama geht, das Schema ist stets dasselbe: Erst streiten man sich ausgiebig und öffentlich, dann wird ein hanebüchener Kompromiss verkündet, der schließlich unter reger Anteilnahme der Öffentlichkeit aufgekündigt wird. Schuld daran trägt nicht nur der viel gescholtene Parteichef Kurt Beck. Im kopflosen Ramponieren sind Minister wie Fraktion auch ganz gut.

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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