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Kommentar Deutsche VisapolitikIm Zweifel für die Reisefreiheit

Kommentar von Barbara Oertel

Die Hürden bei der Visa-Erteilung schrecken keine Verbrecher ab. Sie erschweren aber die Demokratisierung in autoritären Staaten.

N icht-EU-Bürger, die sich in den deutschen Vertretungen ihrer Heimatländer um ein Besuchsvisum für die Schengen-Staaten bemühen, stehen offensichtlich wieder einmal unter Generalverdacht – und das stärker denn je.

Wie sonst ist es zu erklären, dass sich die Bearbeitungszeiten für einen Visaantrag oft über mehrere Wochen hinziehen, die Antragsteller mehrmals vorgeladen und demütigenden Befragungen unterzogen werden, bei denen sie auch noch intimste Details ihres Privatlebens ausbreiten müssen? Zu allem Überfluss kostet die Eintrittskarte für Schengen-Land auch noch etwas – beispielsweise 60 Euro für Weißrussen. Diese Summe ist für viele Bewohner alles andere als unerheblich.

Man braucht schon reichlich Fantasie, um derlei Gebaren mit einem zu großen Aufkommen an Anträgen zu begründen, dem die Mitarbeiter von Botschaften und Konsulaten nicht gewachsen seien. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um gezielte Schikanen handelt. Und die scheinen vor allem den Zweck zu verfolgen, möglichst viele Reisewillige nachhaltig abzuschrecken.

Barbara Oertel

ist Co-Leiterin des Auslandsressorts der taz und zuständig für die Osteuropa-Berichterstattung.

Die in diesem Zusammenhang stets so gern genannte Zielgruppe von Kleinstkriminellen und Banden dürfte das wenig beeindrucken. Denn sie findet bisher Kanäle für eine Einreise und wird das auch in Zukunft tun. Das nicht sehen zu wollen, ist nichts anderes als Realitätsverlust.

Doch was auch immer die deutsche Visapolitik motiviert hat – die Erinnerung an die sogenannte Visa-Affäre unter Rot-Grün etwa –, vor allem an die osteuropäischen Anrainerstaaten der EU ist sie ein komplett falsches Signal. Sie führt das offizielle Credo für eine Unterstützung und Förderung der dortigen Zivilgesellschaft ad absurdum. Denn wie sollte der Prozess der Demokratisierung, von dem auch die Bundesregierung so gern redet, in diesen autoritären Staaten befördert werden, wenn gleichzeitig ganz normalen Bürgern ein Besuch im „freien Westen“ so schwer wie möglich gemacht wird?

Nein, wer wirklich zu einem Wandel in diesen Ländern beitragen will, muss eine Erleichterung der Visavergabe unverzüglich auf die Tagesordnung setzen. Und zwar nicht nur für Geschäftsleute, wie es der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft fordert, sondern für alle. Das heißt ohne Wenn und Aber: Im Zweifel für die Reisefreiheit – so wie unter Rot-Grün ab dem Jahr 2000.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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8 Kommentare

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  • C
    Chandrika

    Der Artikel der Autorin Frau Barbara Oertel liefert wieder einmal den schlagenden Beweis dafür, daß man anscheinend nicht unbedingt eine Ahnung von einer Sache haben muß, wenn man darüber schreibt.

     

    Bei geringster Sachkenntnis wäre ihr sicher nicht entgangen, daß die schengener (!) Visavergabepraxis weitaus liberaler und transparenter gehandhabt wird, als die irgend eines anderen Staates auf dieser Erde.

     

    Es ist mir jedenfalls kein anderes Land bekannt, bei welchen man bei einer Visumsversagung dagegen remonstrieren und so zumindest den Grund der Ablehnung erfahren kann.

     

    Auch eine Klage ist bei einer Nichterteilung eines Visums m.W. auch nur in Deutschland möglich, in allen anderen Ländern dieser Welt geht das nicht. Da ist mit einer Visumsablehnung das Ende der Fahnenstange erreicht. Ablehnungsgründe werden dazu nicht genannt.

     

    Der Autorin sein angeraten, beim nächsten Artikel vorher etwas gründlicher zu recherchieren und nicht derartige Unrichtigkeiten in der Gegend zu verbreiten.

  • C
    Chandrika

    Leider wird bei den, angeblich so restriktiven "deutschen" Visabestimmungen zu gerne übersehen, daß diese nicht "auf dem deutschen Mist gewachsen sind", sondern es sich hierbei um eine Gemeinschaftsarbeit aller Schengenstaaten handelt.

     

    Dem Interessierten sei deshalb empfohlen, mal einen Blick in den "Schengener Grenzkodex" zu werfen, denn darin ist die Visavergabepraxis festgelegt, wie sie von den Experten der Schengenstaaten zusammengestellt und für alle Auslandsvertretungen der Schengenstaaten verbindlich ist.

     

    Wem die darin dokumentierten Vergabebestimmungen zu streng, zu locker oder sonstwie unpassend erscheinen, der sollte sich in Brüssel beschweren.

     

    Deutsche Regierungsstellen sind dafür die falschen Ansprechpartner.

  • W
    Waage

    Auf welchem rosa Planeten lebt die Autorin, etwa auf Melmag? Der Artikel ist erschütternd naiv.

     

    Reisefreiheit nach Osteuropa in beide Richtungen ist ein großes Ziel und ich werde sie hoffentlich noch erleben. Die heutigen Realitäten sind aber so, dass man bei jeder Änderung der Visapflicht genau die Folgen im Blick haben sollte.

     

    Wenn "linke" Politik meint selektiv nur für das Nette, bequeme und gut Gemeinte zuständig zu sein handelt sie verantwortungslos.

  • UG
    Uwe Gattermann, Thailand

    Der Verfasser hat bewiesen, den Charakter von in dubio pro reo (auf dem letzten Wort liegt die Betonung) nicht begriffen zu haben, aber ebenso nicht Sinn und Zweck der Vergabe von Visa und Auswahl derer, die eines bekommen.

     

    Natürlich ist im Zweifel von der Verurteilung eines möglicherweise Unschuldigen abzusehen. Das bedeutet aber nicht, daß bei Zweifeln pro Reisefreiheit zu entscheiden ist.

     

    Im ersten Fall will man vermeiden, einen Unschuldigen hinter Gitter zu bringen. Die Reisefreiheit von Tätern aber über den (geschuldeten) Schutz der Bevölkerung zu stellen, ist Idiotie - also links.

     

    Hier bei uns, in Thailand, wird nur ein Iterview geführt. Hier ist aus zwei Gründen notwendig, eine Vorauswahl derer zu treffen, die einreisen dürfen und derer, die nicht dürfen.

     

    Da ist einmal das Problem Prostitution, zum zweiten das "Problem" mit den Eheschließungen. Schutzgut hier ist also nur die öffentliche Ordnung (nicht die der Sicherheit wie im obigen Fall): Man will sicherstellen, daß die Touristen nicht "arbeiten" (im Falle der Prostitution) und das Visum nur für einen Urlaub mit Rückkehr, nicht aber zum dauerhaften Verbleib in Absurdistan genutzt wird.

     

    Ich führe hier ein Law Office, das sich auch mit Visa beschäftigt. Wir raten unserer Klientel zur Vermeidung des A-1-Zertifikats noch immer zum Touristen-Visum, denn es fallen viele durch, daneben ist diese Bestimmung recht fragwürdig, behindert sie doch Ehegatten, in Absurdistan seine Ehe zu leben. Es gibt schon jetzt Hinweise, daß Karlsruhe den Deutschtest für die Ehefrauen Deutscher kippen wird - und das ist gut so.

     

    Wenn also in den oben genannten Fällen mehr Interviews und Aufwand anfällt, so hat das seinen Grund in der Gefährudungslage, und da hat in jedem Fall in dubio contra reum zu gelten. Ja, auch den Grundsatz kennt die Rechtsprechung nämlich, er ist nur nicht so bekannt!

  • D
    Denis

    Die normalen Bürger anderer Länder sollten ohne Probleme einreisen können, Leute wie die Hintermänner des Magnizki Mordes sollten allerdings draussen bleiben und noch nicht einmal mit Visum einreisen dürfen. Dann hätte Deutschland klar gezeigt, dass Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht nur für Deutsche gelten, sondern auch gegenüber dem Ausland vertreten werden.

  • K
    Kimme

    Und wieder haben Sie keinen Durchblick und schreien groß rum. Bitte recherchieren Sie ordentlich bevor Sie so unqualifiziert berichten. Es geht hier schließlich um das Niveau und den Ruf der taz als seriöse Zeitung.

     

    Die Visumpflicht und der zu entrichtende Beitrag hat zweierlei Gründe. Zum einen geht es darum den Deutschen Staat vor einer großen Anzahl an Wirtschaftsflüchtlingen zu schützen und glauben Sie mir wenn ich Ihnen sage, dass wir diese bei einem Wegfall hätte. Ich war des öfteren und auch für längere Zeit in den ehemaligen Sowjetstaaten, insbesondere in Weißrussland, unterwegs um zu wissen wovon ich rede. Zudem ist es eine Maßnahme um sicherzustellen, dass die Personen über die nötigeb Finanzen verfügen, um auch die Rückreise bezahlen zu können. Ähnlich verhält es sich mit dem Interview bei dem der Grund für die Reise ect. erfragt wird.

    Fragen Sie mal was die Menschen in Frankfurt Oder, Cottbus oder im Osten Brandenburgs von einem Wegfall der Visumspflicht für Ukrainer und Weißrussen halten. Dort ist leider PRogramm was viele noch für rechtspopulistische Hetze halten: Es werden ganze Unternehmen durch den Diebstahl von Baumaschinen und Arbeitsgeräten durch osteuropäischer Räuberbanden in den Ruin getrieben. Ähnlich sieht es beim Autodiebstahl aus.

     

    Außerdem verdrehen Sie hier die Wahrheit aufs Absurdeste. Visumspflicht herrscht auch für Deutsche die nach Weißrussland, Russland oder in ein anderes Land außerhalt des EU-Raumes reisen wollen und müssen ebenso zahlen. Die Bearbeitungsgebühr richtet sich nunmal nicht nach dem Einkommen der Osteuropäer sondern wird nach dem Stundensatz der deutschen Sachbearbeiter berechnet, was zugegebener Maßen nicht sehr erfreulich für die Menschen vor Ort ist.

     

    Außerdem bleibt festzuhalten, dass unsere Gesellschaft leider an die Grenzen ihrer Belastbarkeit angelangt ist, was die Integration von Neuankömmlingen angeht. Um das zu erkennen muss man nur Zeitung lesen. Das ist sehr bedauerlich und hat zu großen Teilen mit dem Versagen der Politik zu tun, ist aber nunmal realität.

  • G
    großmeister_b

    Seit wann ist es Deutschlands Aufgabe, die Welt zu demokratisieren?

  • H
    HamburgerX

    Ganz klar: Im Zweifel für die Sicherheit. Endlich ein supranationales Führungszeugnis für alle ("Meinungsverbrechen" können die deutschen Behörden dann gerne ignorieren.) Bessere Grenzkontrollen. Überprüfung der Größe des Schengenraums. Verbrecher und Banden dürfen sich nicht mehr frei und unschuldig fühlen, nur weil sie in ein anderes Land eindringen.

     

    Es muss endlich die einheimische Bevölkerung besser geschützt werden. Die Einbruchszahlen in Berlin und Hamburg haben in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, Vermögensschaden, Traumatisierungen schädigen die Deutschen. Ebenso gibt es zahlreiche Rohstoff-Diebstähle an öffentlichem Eigentum, bei Bauern und in der Infrakstruktur.

     

    Nimmt der Staat sein Gewaltmonopol ernst und schützt seine Bürger, können dann auch gerne die Visagebühren für die Unbescholtenen gesenkt werden.