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Kommentar Deutsch-türkische DiplomatieMehr Mut wagen!

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Womöglich kann selbst die Bundeskanzlerin den Staatsumbau in der Türkei nicht ändern. Dennoch wäre ein kritisches Zeichen wichtig.

Merkel könnte verkünden, dass sie das Schicksal der türkischen Journalisten genau verfolgt Foto: reuters

W enn sich ein Präsident in Ankara vornimmt, seinen Staat für den eigenen Machterhalt umzubauen, Gegner ruhigzustellen und Journalisten zu verhaften – vielleicht kann dann auch eine Bundeskanzlerin nicht mehr viel machen. Vielleicht würde ihn auch eine Brandrede aus Berlin nicht stoppen, vielleicht würden ihn auch Strafen aus Brüssel nicht beeindrucken. Vielleicht würden solche Maßnahmen nur das Gewissen der Europäer beruhigen, an der Lage in der Türkei aber nichts ändern. Vielleicht bleibt also selbst für Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr viel übrig – abgesehen von einer ganz simplen, ganz großen Kleinigkeit.

Es müssen ja nicht gleich Wirtschaftssanktionen sein. Ein Embargo ist eines der härtesten vorstellbaren Mittel, es würde die Beziehungen zur Türkei vergiften und das Flüchtlingsabkommen zunichtemachen. Der Einsatz wäre hoch, die Wirkung ungewiss. Es muss ja auch nicht gleich das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen sein. Am Argument der Bundesregierung ist durchaus etwas dran: Zumindest in der Zukunft könnte Europa über die Beitrittsgespräche noch Einfluss auf die Türkei nehmen.

Dieses Instrument sollte die EU nicht leichtfertig wegwerfen. Es muss auch nicht gleich das Ende der Gespräche über die Visafreiheit sein. Dieser Schritt würde die Falschen treffen: Auf Reisefreiheit hoffen gerade Erdoğans Gegner, die sich an Europa orientieren.

Es muss ja noch nicht mal der öffentliche Appell an die türkische Regierung sein, sich auf die Demokratie zu besinnen. Die Bundesregierung beteuert, solche Mahnungen wirkten am besten jenseits der Kameras. Vielleicht liegt sie damit richtig, obgleich die Nachrichten aus der Türkei der These eher widersprechen.

Eines könnte die Bundesregierung aber heute noch wagen: Die Kanzlerin persönlich könnte verkünden, dass sie das Schicksal der Journalisten in türkischen Gefängnissen genau verfolgt. Sie könnte die Namen der 13 verhafteten Cumhuriyet-Mitarbeiter vorlesen und dann, wenn sie etwas Zeit mitbringt, auch noch die der mindestens 112 weiteren inhaftierten Medienmacher. Ein Signal an Ankara: Was ihr macht, ist nicht in Ordnung. Und ein Signal an die Gefangenen: Was ihr durchmacht, ist uns nicht egal.

Das Schicksal des Exiljournalisten Can Dündar hat Merkel im September schon einmal explizit benannt. So schwer ist es also gar nicht. Nur Mut!

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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12 Kommentare

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  • Das Selbstbewusstsein der Türkei ist erstaunlich und die Bundesregierung zeigt wenig Durchsetzungskraft.

     

    Ein gutes Beispiel dafür ist die Blockade von Besuchen von Abgeordneten in Incirlik. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Auch hier hätte man deutlich selbstbewusster gegenüber der Türkei auftreten können.

     

    Eine Verschlechterung der Beziehungen will niemand, Sanktionen schon gar nicht, aber zumindest die Bundeskanzlerin sollte sich deutlicher positionieren und diese Positionen auch durch Handlungen untermauern. Im Artikel wurde dazu ja ein guter Vorschlag gemacht.

    • @Olaf Herrmann:

      Ach und was soll die Bundesregierung machen wenn Erdogan sagt: Nein.

       

      Natoeinsatz abbrechen? Also den IS in Ruhe machen lassen weil Erdogan nicht macht was wir wollen?

      Sanktionen? Hat in Russland ja zum Umdenken geführt!

       

      Machen sie mal nen Vorschlag - nur meckern kann jeder.

      Dafür brauch ich keine Linke - die AFD füllt das Spektrum "Hauptsache dagegen" voll aus.

      Weswegen ja die Linken weniger Wähler haben ;)

  • Man sollte nicht zu sehr in die türkische Innenpolitik eingreifen, wenn man den Flüchtlingsdeal der Kanzlerin nicht gefährden will.

  • Es war schon in den 1980er Jahren der jeweiligen Bundesregierung ziemlich Wurst, was für undemokratische Verhältnisse in der Türkei herrschten. Deutsche Panzer wurden gegen Kurden eingesetzt, türkische Geheimdienste arbeiteten mit unseren Schlapphüten zusammen. Menscherechte waren CDUSPDFDP keinen Pfifferling wert und da hat sich bis heute nix geändert. Es ging damals wie heute um die Sicherung 'unserer' Interessen, damals die Sicherung der Nato-Flanke im Kalten Krieg und heute die Flüchtlingskrise und der Einfluss im Nahen Osten. An dem Satz: "Deutschland wird auch am Hindukusch" verteidigt hat sich nur insofern etwas verändert, dass die Grenze jetzt an die Ägäis gerückt ist. Mit Menschenrechten oder gar Moral hat unsere herrschende Politik nix zu tun - oder wie einst Schröder sagte: "Basta!".

     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

  • Ach Gottchen! Namen vorlesen! Da wird sich Erdogan aber fürchten!

  • Seit einiger Zeit verfolge ich Reaktionen auf Meldungen, wie in den Ländern Europas so wie in der Türkei die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten wird. Pressefreiheit wird bereits in Polen und Ungarn beschnitten, aber auch dass ist keine große Reaktion aus Berlin wert. Was mit der Türkei passiert scheint in Berlin hingenommen zu werden.

    Hauptsache keine Flüchtlinge!!!

    Übrigens wird ständig vom " vereitelten Putsch" in der Türkei geredet, wer richtig hinsieht, kann das Gelingen des Putsches genau nach verfolgen, nur will es keiner so benennen.

  • Die diesbezügliche Petition "#FreeWordsTurkey", die sich an Angela Merkel und Jean-Claude Juncker richtet, kann man hier unterzeichnen: https://www.change.org/p/frau-merkel-herr-juncker-fordern-sie-meinungsfreiheit-in-der-t%C3%BCrkei-freewordsturkey

  • "Regierungssprecher Steffen Seibert : "Die Bundesregierung hat wiederholt - und das will ich hier auch noch einmal tun - ihrer Sorge Ausdruck gegeben über das Vorgehen gegen Presse in der Türkei und gegen Journalisten in der Türkei."

    Und Dündar: "Besorgt sein hilft uns türkischen Journalisten nicht."

    Das zeigt das ganze Drama! Die Bundesregierung lässt sich in Ihrer offiziellen Kommunikation nur in einer Qualität erkennen: Erdogan auf keinen Fall irgendwie zu kritisieren. Ich persönlich finde das ein schäbiges und feiges Vorgehen, das mit Werten und Einstehen für Werte nichts mehr zu tun hat - ich schäme mich für diese Bundesregierung und für diese Kanzlerin.

    • @Georg Marder:

      Ich bin eigentlich stolz auf Frau Merkel.

      E war Frau Merkel und die Bundesregierung die seit Jahren dagegen sind die Türkei in die EU aufzunehmen.

    • @Georg Marder:

      Mit den Einstehen von Werten ist das so ne Sache:

       

      Was genau hat die Armenienresolution gebracht (außer das Frau Bruggner auf Steuerzahlerkosten keine Ausflüge in die Türkei machen konnte)?

  • "Mehr Mut wagen!"

     

    Das ist aber nicht möglich, denn es geht nicht:

     

    Um die Rechte der türkischen Bürger, um das Schicksal der Flüchtlinge oder um die Interessen der deutschen Bürger.

     

    Es geht einzig und allein um den Machterhalt der oben abgebildeten Dame.

     

    Und genau deshalb wird eine mutigere Stellungnahme unterbleiben.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "Besorgnis erregend", wohlfeile Floskel für Presse und Volk.

    Tut nichts Spürbares zur Sache, tut also niemandem weh - und schon gar nicht der türkischen Regierung.