Kommentar Demoauflösung: Der schillianische Spuk
SPD-Innensenator Michael Neumann sollte sich überlegen, ob er dieser Entwicklung beziehungsweise Fortentwicklung tatenlos zusieht.
E s ist schon makaber, wenn nicht sogar für die vermeintlich demokratischen Verhältnisse traurig: Im Vorfeld der Demonstration für den Erhalt des Wilhelmsburger Bauwagenplatzes Zomia gab es in der linken Szene einen regelrechten Wetteifer, wie weit die Polizeiführung - die die Demoroute durch die City nach den letzten Gerichts-Rüffeln formell überraschend ohne Beanstandungen absegnete - die Demonstration tatsächlich laufen lassen würde.
Gäbe es eine linke Wettmafia, wäre die Wettquote für den Außenseitertipp "bis zum geplanten Ende" die absolute Gewinnquote gewesen. Doch dafür hätte man die Alt-Schillianer in der Polizeiführung wohl kräftig bestechen müssen.
Das aber war nicht der Fall: Getreu der autonomen Devise - der Kampf wird auf der Straße ausgetragen - zog die Polizei in der Realität wieder ihren Stiefel durch. Kein lästiger Verwaltungsrichter, der einem in die Suppe spuckt und Auflagen erteilt, ist vorher involviert gewesen. Kein beschränkendes Urteil lag da auf dem Tisch, was den Handlungsspielraum eingeschränkt hätte.
Und so haben erneut die Polizeiführer vor Ort entschieden, wer im Shopping-Trubel in der Innenstadt demonstrieren darf - oder eben nicht. Damit knüpft die Polizei unter SPD-Regentschaft nahtlos an ihr Treiben aus der Schwarz-Schill-Ära und den CDU-Regierungen an.
SPD-Innensenator Michael Neumann sollte sich überlegen, ob er dieser Entwicklung beziehungsweise Fortentwicklung tatenlos zusieht und sich so für seine Nachfahren frühzeitig einen sicheren Platz im "Demorecht mit Füßen-Treter-Wachsfiguren Kabinett" sichert - oder energisch einschreitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus