Kommentar Chodorkowski-Urteil: Kleiner Sieg in Straßburg
In Russland ist es Methode, Gefangene wie Tiere in Käfigen zur Schau zu stellen. Vielleicht macht das Urteil Betroffenen in Russland Mut, ebenfalls Straßburg anzurufen.
Z weifellos bedeutet für Michail Chodorkowski das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über seine Grundrechtsbeschwerde eine herbe Niederlage. Schließlich ging es dem früheren russischen Ölmagnaten zuallererst darum, feststellen zu lassen, dass der erste Prozess gegen ihn wegen Betruges und Steuerhinterziehung eindeutig politisch motiviert gewesen sei.
Doch für diese Anwürfe konnten die Straßburger Richter allenfalls Verdachtsmomente finden, jedoch keine eindeutigen Beweise. Sie verwiesen darauf, dass der politische Status keine Immunität garantiere.
Dieser Auffassung kann man folgen. Zumal bekannt ist, dass ein Großteil der späteren Oligarchen in den chaotischen Jahren der Jelzin-Ära den Grundstein für ihren Reichtum, ihre Macht und ihren Einfluss gelegt hat - und das oft mit unlauteren Mitteln.
BARBARA OERTEL ist Osteuropa-Expertin im Auslands-Ressort der taz.
Einen wenn auch kleinen moralischen Sieg gegen Russland hat Chodorkowski dennoch errungen. Denn das Gericht hat mehrere Verstöße der Behörden gegen die Rechte des Klägers in der Untersuchungshaft und während des Prozesses benannt.
Diese erniedrigende Behandlung Chodorkowskis, für die Moskau jetzt Schmerzensgeld zahlen muss, hat in Russland Methode. Täglich werden im Gerichtssaal Gefangene wie Tiere in Käfigen zur Schau gestellt. In überfüllten und verdreckten Knästen büßen sie mit ihrer Gesundheit oder mit ihrem Leben.
Es sind aber genau diese menschenverachtenden Praktiken, die einem Rechtsstaat Hohn sprechen, die das Urteil erneut in den Fokus rückt. Damit weist es über die Causa Chodorkowski hinaus. Und vielleicht macht der Richterspruch weiteren Betroffenen in Russland Mut, ebenfalls den Weg nach Straßburg anzutreten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links