Kommentar Chipkarte: Goldmine für Datensammler
Künftig werden Gehalt und Familienstand in einer Zentralen Speicherstelle gesammelt. Wer glaubt, dass diese Daten-Goldmine nicht missbraucht wird, dem ist nicht zu helfen.
Reiner Metzger ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Einem zentralen, leicht zugänglichen Register, in dem alle Bereiche des Privatlebens gespeichert sind, ist Deutschland wieder einen Schritt näher gekommen. Künftig wird sich der größte Teil der Bevölkerung in der neuen Zentralen Speicherstelle (ZSS) wiederfinden. Dort wird aufgelistet, was jemand verdient, wo er wann gearbeitet hat, sein Familienstand, sein Anrecht auf Sozialleistungen. Außerdem ist schon eine Erweiterung auf diverse Verwaltungsvorgänge geplant, so dass dann millionenfach Mieten, Unterhaltszahlungen und manches andere über eine zentrale Datei gespeichert und verteilt werden.
Die Bürger werden mit den üblichen Argumenten beschwichtigt: Nur mithilfe einer elektronischen Unterschrift auf einer Chipkarte, die bei jedem Einzelnen verbleibe, könne ein Amt an die Daten rankommen. Schön und gut. Aber glaubt noch irgendwer an diese absolute Sicherheit? Er müsste reichlich naiv sein: Seit Jahren werden Kreditkarten von Kriminellen geknackt, vertrauliche Computerdaten aus Versehen offen im Internet liegen gelassen. Die Internethacker professionalisieren sich, während die Wirtschaft per Chipkarte immer mehr Daten sammelt. Wer glaubt, dass eine solche Goldmine an Daten nicht missbraucht wird, dem ist nicht mehr zu helfen.
Richtig ist, dass diese Daten schon jetzt irgendwo gespeichert werden. Von entscheidender Bedeutung ist aber, wie einfach diese Daten zugänglich sind. Und mit der zentral gespeicherten persönlichen Kennnummer wird die Schwelle zum Missbrauch definitiv. Daneben gibt es ja auch den gesetzlichen Gebrauch. Eine solche Datei kann das Leben der Bürger einfacher machen, weil sie dann weniger Bescheinigungen brauchen, und es spart Geld in den Verwaltungen ein. Das sind positive Aspekte. Sie sorgen aber gleichzeitig dafür, dass die Zahl und die Qualität der Daten stetig zunehmen wird - und damit auch die Begehrlichkeiten von Polizei und Geheimdiensten, die Zugriff suchen. Es ist eine Vorratsdatenspeicherung auf einem ganz neuen Gebiet - nach Telefon, Internet oder der Registrierung von Pkw-Fahrdaten auf den Autobahnen.
Keineswegs besser wird diese Lage durch die noch bestehenden Unklarheiten: Soll die Signatur auf die kommende Gesundheitskarte oder den elektronischen Personalausweis aufgespeichert werden? Technisch wird schon mal eine Brücke zum nächsten zentral zu speichernden Gebiet geschlagen - entweder der Polizei- oder der Krankheitshistorie der Einzelnen. Es ist unfassbar, dass sich dagegen kein Protest regt. REINER METZGER
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