Kommentar Burkini: Wenn Musliminnen ins Wasser hüpfen
Das Burkini-Urteil wirft spannende Fragen auf: Werden nun alle muslimischen Mädchen in Polyesterschläuche gesteckt? Oder anders: Dürfen sie endlich öffentlich schwimmen gehen?
D er Burkini hat es von den bunten Zeitungsmeldungen nun auch in die höhere deutsche Rechtsprechung geschafft. Ja, einem Mädchen im Grundschulalter ist es zuzumuten, im Burkini am Schwimmunterricht teilzunehmen, anstatt sich befreien zu lassen, urteilte das Oberverwaltungsgericht Münster.
Damit entwickelt diese textile Neuerfindung die Rechsprechung höchster Gerichte weiter. 1993 hatte das Bundesverwaltungsgericht noch ein Mädchen vom Schwimmen befreien lassen, weil es keine Lösung für das Schamproblem ihrer strenggläubigen Eltern sah. Nun aber gibt es eine.
Wer mit westlichen Augen auf dieses Polyestergeschläuch schaut, kommt augenblicklich ins Bedauern: Wie viel schöner Wasser auf der Haut ist als der Plastikstoff, davon können Bikini- und Nacktschwimmerinnen Hymnen singen. Aber was hilft es? Seine eigenen Glückserlebnisse kann man anderen nicht per Gesetz aufdrücken.
Auch kann man ihnen nicht verordnen, sie hätten sich gefälligst gegen echte oder vermeintlich lüsterne Blicke mit gesundem Selbstbewusstsein zu immunisieren. Zwangspädagogik bewirkt ja oft das Gegenteil. Und so demonstriert Immunität auch, wer im hiesigen Schwimmbad mit Burkini aufkreuzt: Dann nämlich muss man in jedem Fall mit aufdringlich-mitleidigen Blicken fertig werden.
Mit der juristischen Adelung des Burkini gibt die Rechtsprechung den Blick frei auf eine integrationspolitisch heikle Frage: Werden nun tausende unbeschwerter kleiner Musliminnen, die vorher mangels Alternative im Badeanzug herumsprangen, in Polyester verbannt?
Oder ist es umgekehrt: Tausende von Musliminnen, die aus Scham noch nie öffentlich im Wasser waren, können endlich ins Nass hüpfen? Das lässt sich noch nicht sagen, denn bisher hat der Burkini nur in den Medien Karriere gemacht und wurde öffentlich kaum gesichtet. Diese Frage auszuloten ist das Experiment aber allemal wert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links