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Kommentar BürgerversicherungSozialer Frieden kostet Geld

Heike Haarhoff
Kommentar von Heike Haarhoff

Eine Bürgerversicherung würde die ewige Neiddebatte beenden – die finanzielle Mehrbelastung für die Mittelschicht darf dennoch nicht heruntergespielt werden.

D ie Bürgerversicherung sei schon allein deshalb gut für alle, weil sie kostengünstiger ist als unsere derzeitige Zwei-Klassen-Medizin. Dieses Argument ist beliebt bei den Verfechtern einer gemeinsamen Krankenversicherung und war auf dem Parteitag der Grünen am Wochenende auch wieder zu hören. Leider ist es falsch. Die Bürgerversicherung wird unser Gesundheitssystem nicht wesentlich billiger machen. Die Ersparnis ist eher marginal. Das belegt jetzt auch ein Gutachten - im Auftrag der Grünen.

Wer den Kampf um eine gerechte medizinische Teilhabe führen und auch gewinnen will, der muss diese Nachricht offensiv kommunizieren. Denn eine Bürgerversicherung müsste mehrheitlich von der oberen Mittelschicht finanziert werden, die gleichzeitig Privilegien aufgeben müsste, die ihr die Privatversicherung garantiert. Warum sollte sie sich auf ein solches Minusgeschäft einlassen?

Der Widerstand gegen soziale Gerechtigkeit, das zeigen die Debatten um Bildungs- und Schulpolitik, wächst auch bei der grünen Wählerklientel mit der eigenen Betroffenheit. Daher ist eine Bürgerversicherung nur erfolgreich, wenn einsichtig wird, dass der Verlust einer besonderen Behandlung Vorteile bringt: So werden Privatversicherte häufiger als Versuchskaninchen benutzt als Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen. Nicht wenige der privaten Leistungen nützen dem Arzt oder der Forschung und nicht dem Patienten.

Tatsächlich würde eine Bürgerversicherung die ewige Neiddebatte beenden und den Armen die Chance auf eine bessere medizinische Versorgung bieten. Das allein - Stichwort sozialer Frieden und Zusammenhalt der Gesellschaft - ist ein sehr guter Grund, sich für die Bürgerversicherung einzusetzen. Das muss dann aber auch so benannt werden. Wer hingegen die finanzielle Mehrbelastung für die Mittelschicht herunterspielt, handelt kontraproduktiv. Er verkauft die für dumm, die das neue System schultern müssen.

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Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
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8 Kommentare

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  • M
    Moxie

    Was ist eigenlich die solidarische Leistung der Gegenseite? Das würde ich mal interessieren. Das Geld ohne Widerspruch anzunehmen?

  • T
    Tobi

    Ich habe aber keine Lust solidarisch zu sein, mit Hunderttausenden die nie einen Pfennig in das Systhem eingezahlt haben, und die nun mit den lebenslang zahlenden gleichgestellt sein sollen.

  • F
    Ferris

    Die Bürgerversicherung stellt ALLE besser, die gutverdienenden sowie die schlechtverdienenden !

     

    Der es ist eine klassische WIN-WIN Situation für die Zahler.

    Natürlich verlieren die privaten Unternehmen und schmeißen ihre Lobby an um dagegen mobil zu machen.

     

    Zu begrüßen ist außerdem auch die Gewerbesteuer für Freiberufler. Diese Leute (FDP Wähler) haben in der Vergangenheit oft Privilegien durchgesetzt.

    Warum sehr wohlhabende Steuerberater , Ärzte , Rechtanwälte keine Gewerbesteuer zahlen aber der Friseurladen, Imbissbesitzer ist mir schon lange unerträglich.

     

    Das Gutachten kann man getrost in die Kloppe treten. Gutachter werden von Verischerungen regelmäßig bezahlt , das ist unseriös.

     

    Private Unternehmen haben Gewinnmaximierung im Sinn. Sie ködern Menschen in die Private um danach kräftig durch Beitragserhöhungen abzusahnen.

     

    Viele Privatversicherte würden gerne zurück wenn sie könnten.

     

    Dieses Gefangensein in der Private , Und die GKV ist einfach unerträglich.

     

     

    Die Grünen haben mich positiv überrascht nach den negativen Schlagzeilen im Saarland und Hamburg.

     

    Weiter so.

    Das Bedingungslose Grundeinkommen und die Wieder-Einschränkung des Urheberrechtes wären da noch das I-Tüpfelchen.

  • H
    Hans

    Ich kenne viele Privatversicherte, die lieber bei einer normalen Krankenkasse geblieben wären. Hauptgrund: Geschäfts- und Gewinninteresse der privaten versicherung. Gesundheit ist das sekundär.

    Und die eigene Betroffenheit steigt bei diesen Leuten auch: Mit zunehmenden Alter steigt die Unzufriedenheit, weil es Solidarität bei den Privaten gar nicht gibt, nur Profitinteresse, insofern teile ich den Tenor von Frau Haarhoff nicht, aber in der medialen Auseinandersetzung, mit zig Pressestellen, PR-Agenturen und ein paar Dirty-Tricks wird es am Ende so enden, wie hier beschrieben: Ein paar Arme klauen dem Mittelstand die Privilegien.

    In der Realität halte ich das gleichwohl für falsch und dazu müsste man das Gutachten auch im Detail kennen. Prognosen und Analysen, die sich auf Demographie, Einkommen und soziale Verhältnisse stützen, sind fast immer falsch, aber dennoch gehören sie zur Debatte. Müssen sie irgendwo auch, aber in ihnen steht nichts Unantastbares.

    Die Frage ist ja auch, wie wird die Bürgerversicherung aussehen? Wie solidarisch, gerecht und umfassend ist das Konzept?

    Daran würde es m.M. nach hängen.

  • S
    Steffi

    Dass im bisherigen sogenannten Solidarsystem nur die schlechterverdienenden untereinander solidarisch zu sein haben, sollte als Argument eigentlich auch bereits reichen;

    man müsste es allerdings auch wesentlich öfter mal in dieser Schärfe formulieren, das stimmt.

  • V
    vic

    Die obere Mittelschicht "muss das Programm schultern"

    Wir wollen mal nicht übertreiben.

    Sie tragen lediglich etwas mehr zur solidarischen Bürgerversicherung bei, weil sie aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten mehr beitragen können.

  • F
    Frauke

    Na, mit den Privilegien ist es auch nicht so doll.

    Die Abrechnung mit der Beihilfe ist ein Abtraum und man weiß nie so recht, ist der Eingriff/die Untersuchung für die eigene Gesundheit notwendig oder für das Konto des Arztes.

    Ich hab mich als gesetzlich Versicherte nicht schlechter behandelt gefühlt, wenn man von gelegentlichem Warten auf Termine absieht.

  • RP
    Roger Peltzer

    Die Bürgerversicherung muss kommen. Aber sie wird nur kommen, wenn sie so eingefädelt wird, dass man die starken Lobbies der Privatversicherten öffentlich in die Defensive bekommt. Das hat Karl Lauterbach am letzten Samstag in der TAZ gut begründet.

    Ich bin von ein Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze betroffen. Mehr als das Argument der sozialen Gerechtigkeit - diese sollte eher über das Steuersystem geregelt werden - wäre ich als Kassenpatient von der Idee angetan, dass ich Zukunft bei Arztterminen die gleiche Behandlung und Wertschätzung erfahre wie meine verbeamteten Freunde. Das ist ein echtes Argument. Und das darf etwas kosten.

    Die Anhänger der Bürgerversicherung sollten sich aber bei einem Faktum nicht in die Tasche lügen. Viele Ärzte können heute nur deshalb ein akzeptables Einkommen erzielen, weil sie Pirvatpatienten haben. Wenn man die Privatversicherung abschaffen will - wofür ich bin - müssen die gesetzlichen Krankenversicherungen den Ärzten höhere Honorare zahlen. Es ist ein Unding, das ein junger Assistenzarzt in einer Klinik, der schon nach wenigen Wochen Verantwortung für eine ganze Station hat, im Zweifelsfall weniger verdient als der Betriebswirt, der als Traniee in einem großen Unternehmen oder ein Bank anfängt.

    Und noch absurder wird es, wenn man sich das Gehalt von Oberärzten im Vergleich zu ihrer Verantwortung und ihrem Arbeitsstress ansieht. Da braucht es deutliche Korrekturen.

    Abschließend: ich bin kein Arzt, sondern arbeite in eine Bank.

     

    Roger Peltzer