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Kommentar Brunner-UrteilNotrufsäule ohne Anschluss

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Nun schickt man also zwei gestörte Jugendliche für den Tod des Geschäftsmannes Brunner für lange Zeit ins Gefängnis. Skepsis ist angebracht, ob diese Rechnung so aufgeht.

H arte Strafen, so wird man die Urteile im Fall Dominik Brunner wohl nenen dürfen. Zwar kam der Haupttäter Markus S. noch glimpflich davon, weil ihm ein Gerichtsgutachten eine Reifeverzögerung attestierte. Hätte man den 18-jährigen als Erwachsenen angesehen, wäre eine lebenslange Haftstrafe zwingend gewesen, da die Tat als Mord gewertet wurde. Doch auch so wiegt das Urteil noch schwer genug.

Nun schickt man also zwei gestörte Jugendliche mit Biographien, vor denen die meisten Eltern ihre Kinder wohl gerne bewahren möchte, für lange Zeit ins Gefängnis. Man hofft, dass sie nach ihrer Entlassung nicht nur die Tat gesühnt, sondern die Zeit im Knast "zur konzentrierten Arbeit an ihrer Sozialisierung" haben, wie es die Deutsche Polizeigewerkschaft in einem Kommentar zum Urteil formulierte: Da sei vieles nachzuholen.

Skepsis ist angebracht, ob diese Rechnung so aufgeht. Dass die Notrufsäule auf dem S-Bahnhof in Solln (und auf zwanzig weiteren S-Bahnhöfen im Raum München) nicht angeschlossen war, zeigt, dass es noch andere Versäumnisse gab. Und dass sich Deutsche Bahn und Regionalbahngesellschaft dafür jetzt den Schwarzen Peter zuschieben, erinnert ganz an die Love-Parade-Farce von Duisburg.

Ambros Waibel

ist Redakteur im Meinungsressort der taz.

Die Gesellschaft produziert zwar Täter wie Markus S. und Sebastian L.. Sie bleibt aber hilflos, wie sie ihnen begegnen soll. Dominik Brunner hatte ein Rezept: er wollte den Jugendlichen brachial Grenzen setzen, vor allem aber wollte er die Kinder, die von ihnen bedroht und gedemütigt wurden, schützen. Er hat das aus einem ehrenwerten und richtigen Impuls getan - nicht, um als Held dazustehen.

Wer jedoch meint, sich durch seinen Fall einer differenzierten Herangehensweise an das Thema Jugendgewalt entziehen zu können, liegt sie falsch. Das in letzter Zeit dank Sarrazin viel beschworene Potential rechts der Union möge jedenfalls die Finger von ihm lassen: Hysterische Maulhelden haben wir schon genug.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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