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Kommentar Brexit-Gipfel in BrüsselApocalypse later

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

In Sachen Brexit scheint das Schlimmste vorerst abgewendet. Doch ein Aufschub bedeutet auch: Der Schrecken endet so schnell nicht.

Rein oder raus? Das Gezerre um den Brexit geht weiter, geholfen ist damit keinem Foto: ap

D ie Apokalypse wurde gerade noch einmal abgewendet. Am 12. April droht nun doch kein Kollaps an Europas Häfen und Flughäfen. Der Worst Case – ein ungeordneter Austritt Großbritanniens aus der EU mit allen negativen Folgen für Verkehr und Handel – wurde beim Sondergipfel in Brüssel am Mittwoch vorerst ausgeschlossen. Zumindest bis zur Europawahl Ende Mai soll Ruhe sein; der gefürchtete No Deal ist bis auf Weiteres abgewandt.

Und noch eine gute Nachricht kommt aus Brüssel: Die Briten erhalten genug Zeit, um doch noch ein zweites Referendum über den Brexit abzuhalten. Die Hoffnung auf ein „People's Vote“ bekommt damit neuen Auftrieb. Die Zeit bis zum 31. Oktober – der neuen Deadline für die Ratifizierung des Austrittsvertrags – ist zwar knapp bemessen. Doch wenn sich die Pro-Europäer anstrengen, könnten sie eine neue Abstimmung organisieren.

Damit enden aber auch schon die guten Nachrichten. Der Rest ist traurige Gipfelroutine. Sechsstündige, zähe Verhandlungen. Eine schlecht vorbereitete, planlose britische Premierministerin. Eine Kanzlerin, die die „historische Verantwortung“ beschwört und damit doch nur meint, den Status quo zu wahren und den Brexit auf die lange Bank zu schieben. Und am Ende ein Kompromiss, der keinen wirklich zufrieden stellt, aber alles offen hält.

Der 31. Oktober ist ein ziemlich willkürliches Datum – auf halbem Weg zwischen dem 30. Juni, den Theresa May beantragt hatte, und dem 31. Dezember, den Angela Merkel und viele andere Staats- und Regierungschefs bevorzugt hatten. Er kam zustande, weil Emmanuel Macron den Druck auf die Briten aufrechthalten wollte – und weiter denkt als Merkel: Im Herbst, so Macrons Ziel, soll der Neustart der EU beginnen, mit neuer Kommission und neuem Programm.

Allerdings stand Macron mit diesem Ziel ziemlich allein. Der Krisengipfel hat gezeigt, dass Merkel und die meisten anderen EU-Chefs kein Interesse an einer „Renaissance“ Europas haben. Alles soll weitergehen, wie bisher, wenn möglich sogar mit den Briten. Je länger sie bleiben, desto besser, denken viele. Selbst die Europawahl ist für die meisten EU-Granden nicht so wichtig. Solange die Briten teilnehmen, ist doch alles in Ordnung, oder?

Die Brexiteers mobilisieren schon jetzt gegen den Verrat aus London und Brüssel – und könnten das neue Europaparlament nach der Wahl für ihre Zwecke umfunktionieren

Ist es aber nicht, im Gegenteil. Denn nun wird die Europawahl, wenn nicht noch ein Wunder geschieht und der Austrittsvertrag doch noch rechtzeitig ratifiziert wird, zu einem zweiten Referendum über die EU. Für die Brexiteers und andere EU-Gegner ist das ein Konjunkturprogramm. Sie mobilisieren schon jetzt gegen den „Verrat“ aus London und Brüssel – und könnten das neue Europaparlament nach der Wahl für ihre Zwecke umfunktionieren.

Klar, auch die Remainers und Pro-Europäer machen sich Hoffnungen. Auch sie dürfen bei der Europawahl auf Zugewinne setzen. Doch was nützt das, wenn die EU keine Zukunftsvision hat, wenn sich alles nur noch um den Brexit und die Verteidigung des Status quo dreht? Ein Ende mit Schrecken, da hat Macron recht, wäre immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende. Doch genau das droht nach diesem erschreckend planlosen Krisengipfel.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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5 Kommentare

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  • Die Briten hatten zwei Jahre. Es wird Zeit, dass dieses alberne Kasperlestheater endlich aufhört. Es gibt durchaus wichtigere Probleme als dieser Affentanz hervorgerufen von Empire-Beweinern, Lügner, den Idioten, die auf diese offensichtlichen Lügen hereingefallen sind und den allergrößten Knalltüten: Diejenigen - und darunter sehr viele junge Leute - die der Meinung waren, dass es eh nicht zum Brexit käme und man deshalb ja garnicht seine Stimme abgeben müsste.

    Natürlich ist der Brexit scheiße, aber ein zweites Referendum ist kaum zu erwarten. Einmal abgesehen davon, dass der Ausgang sehr unsicher ist. Denn die Lager haben sich noch mehr verhärtet und bei einem zweiten Referendum kann es auch durchaus sein, dass eigentlich Remainer nun für Leave stimmen werden, da es tatsächlich eine Farce ist, so lange abstimmen zu lassen, bis das bequemere Ergebnis rauskommt (so sehr ich es auch befürworte).

    Im Vergleich zu 2016 hat sich ja auch überhaupt nichts geändert. Es sind keine Ereignisse eingetreten, die eine Neubewertung erzwingen würden (dass das britische Parlament eine hohen Knallchargen-Anteil hat, ist ja nichts neues). Es kamen auch keine neuen Informationen dazu, die irgendwelche neuen Erkenntnisse gebracht hätten. Vor den wirtschaftlichen und sonstigen Auswirkungen wurde schon vorher gewarnt.

    So sehr ich mir auch ein anderes Ergebnis wünschen würde, für ein zweites Referendum gibt es keine demokratische Grundlage. Es war auch genügend Zeit, dass die von britischer Seite nicht genutzt wurde, weil sich als Ergebnis eines innerparteilich motivierten Referendums nun alle überparteilich eins draufhauen, kann nicht das Problem der EU sein.

    Frist läuft ab. Fertig. Ende und Adios. So sollte es sein. Stattdessen wird dieses lähmende Elend immer weiter hinausgezögert, nur weil wehleidige Postimperialisten ihren Laden nicht auf die Reihe bekommen.

    • @sart:

      Auch wenn sie von Ihrer Meinung nachdrücklich überzeugt sind , strotzt Ihr Kommentar vor Klischees und Fehlern.



      - Der Affentanz hat schon konkrete Gründe. Wenn Sie eine Idee haben, wie man den Backstop verhindert, dann bitte.



      - Natürlich hat sich in den zwei Jahren etwas geändert. Es gibt einen konkreten Vertrag , in dem drinsteht, das GB die EU faktisch nicht verlassen darf. Wegen Backstop.



      - Natürlich wäre es berechtigt, über den konkreten Vertrag abzustimmen, zumal er anders aussieht, als man (auch wir ) das vor zwei Jahren erwartet haben.



      - Der Brexit ist nicht unbedingt "scheiße". Kommt auf die Sichtweise an. Den Briten auf der Insel ist Reisefreiheit an den Grenzen weniger wichtig. Dafür haben die auch den neoliberalen Touch der EU bemerkt. Darf man auch Scheiße finden.



      - Was das Wichtige angeht, so können Sie in dem Artikel, den Sie kommentiert haben selbst lesen, dass "die EU" gar keinen Bock hat, sich um dieses Wichtigere zu kümmern.



      - Was die demokratisch Grundlage angeht, so sind 52% für so eine bedeutsame Entscheidnug sehr knapp. Grundgesetzänderungen müssen in DE z.B. mit 2/3 beschlossen werden. sonst ist es einfach keine Entscheidung.

      • @Sonntagssegler:

        "Der Affentanz hat schon konkrete Gründe. Wenn Sie eine Idee haben, wie man den Backstop verhindert, dann bitte."



        Dazu gibt es einige Vorschläge, die nur alle keine Mehrheiten findet. Und der Backstop lässt sich durch einen Hard Brexit verhindern. Den nun dann aber doch plötzlich niemand mehr will.

        "- Natürlich wäre es berechtigt, über den konkreten Vertrag abzustimmen, zumal er anders aussieht, als man (auch wir ) das vor zwei Jahren erwartet haben."



        In welchen Punkten sieht er denn anders aus als erwartet? Die Lügen mancher Breiteers und die Idioten, die auf sie hereingefallen sind, habe ich ja schon genannt.

        "



        - Der Brexit ist nicht unbedingt "scheiße". Kommt auf die Sichtweise an. Den Briten auf der Insel ist Reisefreiheit an den Grenzen weniger wichtig. Dafür haben die auch den neoliberalen Touch der EU bemerkt. Darf man auch Scheiße finden."

        War wohl unverkennbar, dass das meine subjektive Meinung ist.

        "- Was das Wichtige angeht, so können Sie in dem Artikel, den Sie kommentiert haben selbst lesen, dass "die EU" gar keinen Bock hat, sich um dieses Wichtigere zu kümmern."

        Dann wird es Zeit, diese Ausredemöglichkeit zu beenden.

        "



        - Was die demokratisch Grundlage angeht, so sind 52% für so eine bedeutsame Entscheidnug sehr knapp. Grundgesetzänderungen müssen in DE z.B. mit 2/3 beschlossen werden. sonst ist es einfach keine Entscheidung."

        Knapp aber demokratisch.

    • @sart:

      Volle Zustimmung!

      Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

      Wer eine andere Politik will, muss anders wählen!



      #NieWiederCDU #AuchNichtSPD #ErstRechtNichtFDP #UndBloßKeineAfD

      • 6G
        64984 (Profil gelöscht)
        @Franz Georg:

        #NieWiederCDU #AuchNichtSPD #ErstRechtNichtFDP kann ich voll zustimmen. Auch #UndBlossKeineAfD hätte ich bis vor kurzem noch voll zustimmen können.



        Aber nachdem Die Linke Sarah Wagenknecht rausgeekelt hat und die Grünen ja jederzeit als Mehrheitsbeschaffer für die CDU/CSU zur Verfügung stehen, bleibt ja kaum noch etwas anderes übrig. Zudem scheinen die Stimmen für die AfD die einzigen Stimmen zu sein, die CDU/SPD zum Nachdenken bringt.



        Vielleicht fällt denen ja dann irgendwann auch auf, dass viele Wähler die AfD nicht wählen, weil sie die Politiker der AfD gut finden oder deren oft idiotisches Programm, sondern weil Sie die reale Poltitik der anderen Parteien Scheisse finden, und da geht’s oft nicht einmal um die Migration, sondern z.B die ewige Bevorzugung der Konzerne.