Kommentar Brechmittel-Prozess: Opfer zweiter Klasse
Der Öffentlichkeit kann es im Kampf gegen das Feindbild des afrikanischen Dealers gar nicht hart genug zugehen. Und die Justiz schont findig jene, die diese Denke übernehmen.
F ür den Bremer Polizeiarzt galten zweimal die allerhöchsten Maßstäbe des Strafrechts. Im ersten Verfahren um den Tod des Afrikaners Laya Condé in seinen Händen mochte das Gericht ihn nicht verantwortlich machen, weil der Arzt nicht ausreichend ausgebildet gewesen sei, um seine Fehler zu erkennen.
Nun führten Zweifel an der Todesursache zu einem erneuten Freispruch: dass kein Zeuge sich an ein Husten des später gestorbenen Condé erinnern konnte, ließ die Anklage vor Gericht zusammenstürzen. So könnte es statt des stillen Ertrinkens auch ein Herzfehler gewesen sein, befand das Gericht. Und wieder war der Arzt entlastet. Die beteiligten Polizisten hatte ohnehin niemand belangen wollen.
Im Zweifel für den Angeklagten - an diesem Grundsatz misst sich die Integrität eines Gerichts. Doch an anderer Stelle ging es nicht so integer zu Werk. Die verhandelte Brechmittelpraxis ist eine staatliche Zwangsmaßnahme. Deshalb muss sie verhältnismäßig sein, und sie muss das mildeste Mittel sein. Beides war nicht der Fall. Als der Verstorbene die ersten Kokainkugeln ausgespien hatte, war der gesuchte Beweis erbracht. Man hätte ihn dem Notarzt überlassen können.
ist Redakteur bei taz Nord.
Die Brechmittelmethode ist auch nicht mild. Sie dient der Abschreckung. Höchste Richter haben festgestellt, dass sie eine Form der Folter ist. Das mildeste Mittel ist die Exkorporation in einer Zelle mit Spezialtoilette. So hätte man ganz leicht den Opfern der Brechmittelpraxis eine tödliche Tortur ersparen können.
Solche "Beweissicherung" konnte es nur deshalb geben, weil die Verdächtigen meist schwarz sind. Denn bei ihnen gelten andere Maßstäbe. Die sind seit jeher am anderen, am unteren Ende des Spielraums angesiedelt. Das gilt für weite Teile der Öffentlichkeit, denen es im Kampf gegen das Feindbild des afrikanischen Dealers gar nicht hart genug zugehen kann. Und das gilt für die Justiz, die immer wieder findig jene schont, die das übernehmen.
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