piwik no script img

Kommentar Bologna-ReformKreditpunkte absurd

Kommentar von Wolf Wagner

Länder wie Berlin verkomplizieren die unübersichtlichen Kreditpunkte im Studium weiter. Das liegt nicht zuletzt an Leer-Veranstaltungen.

D ie Leistungspunkte aus dem ECTS sollen allein „den studentischen Arbeitsaufwand, der in der Regel notwendig ist, um die jeweiligen Anforderungen zu erfüllen und Lernziele zu erreichen“, bemessen. So formulieren es das auch die zentralen Satzungen in Prüfungsangelegenheiten und die Rahmenprüfungsordnungen der Berliner Unis.

Schon das führt in vielen Bereichen zu einem fachlich kaum zu vertretenden Bürokratismus. Doch die Berliner Unis gehen von sich aus einen Schritt weiter. Ohne dass dies irgendwo in den ECTS-Handbüchern vorgeschrieben oder vorgeschlagen wäre, werden an den Berliner Unis die ECTS-Leistungspunkte zum Maß der akademischen Bedeutung eines Moduls gemacht.

Bei der Bildung der „Gesamtnote für alle Prüfungsteile werden die jeweiligen Noten (…) mit der Zahl der zugehörigen Leistungspunkte multipliziert, dann addiert und durch die Summe der einbezogenen Leistungspunkte dividiert“. (So § 13 Abs. 7 der Satzung der FU – wortgleich in den Satzungen der TU und HU.) Je mehr Leistungspunkte ein Fach hat, desto mehr wiegt sein Anteil an der Gesamtnote.

Das hat absurde Konsequenzen. Weil das Fachpraktikum etwa der Wirtschaftsingenieure an der TU mit neun Wochen nach den ECTS-Richtlinien eigentlich eine ganze Menge Leistungspunkte haben müsste, würde es natürlich viel zu schwer ins akademische Gewicht fallen und wird darum einfach weder benotet noch mit Leistungspunkten versehen – es wird zur Leerveranstaltung. Damit ist der Sinn des ECTS verfehlt: die Studierbarkeit eines Studienganges zu gewährleisten.

WOLF WAGNER

,68, ist Sozialwissenschaftler und Autor von „Uni-Angst und Uni-Bluff“.

Man kann nach dieser Logik unbegrenzt Zeiten hineinpacken, die einfach nicht gezählt werden. Dazu kommt: Mit dieser ECTS-widrigen Gewichtung der Fachnoten mit den ECTS-Punkten werden für die Lehrenden Anreize gesetzt, möglichst viele Leistungspunkte für ihr Fach zu holen. So zeigt sich an diesem Beispiel, wie vieles, was zu Recht an ECTS kritiert wird, nicht am ECTS liegt, sondern an der Art und Weise, wie es bei uns umgesetzt wird.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • I
    isotop

    Îch habe beide Systeme durchlebt (in den 1990ern einen Magister in Geisteswissenschaften, in den Nullern einen BSc in Naturwissenschaften), es hat beides seine Vorzüge und Schattenseiten.

    Auf der Strecke bleibt heute völlig das Reinschnuppern in andere Studiengänge/Fachbereiche, da bleibt keine Zeit mehr. Ich habe damals das Zweitstudium als einziger von mehr als 300 in meinem Fachjahrgang in Regelstudienzeit abgeschlossen, aber auch nur, weil ich mir Scheine des Erststudiums als Anwendungsfach anrechnen lassen konnte, somit die Arbeitsbelastung von vier Modulen entfiel. Dafür hatte ich mir für das Erststudium glaube 17 Semester gegönnt; es ging mir nich um "Abschluss in Rekordzeit", ich wollte selbstbestimmt lernen, nicht nur die Pflichtscheine abhaken. Und leben (bzw. notwendiges arbeiten!) soll ja auch noch möglich sein.

    Positiv ist, dass heute die Leistungen durch Modularisierung zumindest vergleichbarer sind, wobei hier noch Luft für Optimierung bestünde. Für die Geisteswissenschaften ist die Entwicklung meiner Meinung nach riskant, bei Wirtschaftsfächern oder im MINT-Bereich eher ein Schritt in die richtige Richtung, denn hier merkt man nun schneller, ob einem das Fach liegt, verbummelt weniger Zeit bis zum "hinschmeißen".

  • A
    anke

    Ich darf gar nicht erst nachdenken über die Frage, was deutsche Studenten während ihres Studiums neben dem Fachwissen noch alles beigebracht kriegen. Wenn sie nämlich all das, was das "System" ihnen ganz nebenbei einbläut, im Anschluss an ihr Studium praktizieren, braucht wohl niemand mehr zu erwarten, dass deutsche "Eliten" irgend etwas in ihrem Job so organisieren, dass es einen Sinn ergibt. Die Schuld am Desaster trägt dann natürlich niemand. War ja nur "das System", und das hat keinen Namen.

  • I
    icke

    laut dem berliner hochschulgesetz muss ein viertel der leistungen nicht differenziert (also bestanden oder nicht bestanden) oder garnicht benotet werden, somit müssen eben ein paar module aus der notengebung rausfallen. und dazu ein praktikum zu nehmen bietet sich imho doch an.

     

    ein nicht versehen eines (pflicht-)moduls mit leistungspunkten geht natürlich garnicht und geht nicht konform mit dem berliner hochschulgesetz (§ 22a(2)).

     

    das korrelieren von zeitaufwand und gewicht der note ist natürlich willkür, aber das ist jeder andere schlüssel auch. und korreliert nicht auch irgendwo (praktika mal ausgenommen) bei einem 'normalen' theoriemodul die wichtigkeit mit der zugesprochenen zeit?