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Kommentar BildungsprotesteStreiken ist Luxus

Kommentar von Gordon Repinski

Wo stecken die Protest-Studis des Jahres 2011? Auch wenn derzeit nur wenige streiken: Wer dieser Generation vorwirft, sie sei unpolitisch, tut ihr Unrecht.

D as war ein dünner Start der bundesweiten Bildungsstreiks: Gerade so wurde am Donnerstag eine vierstellige Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern erreicht. Vor zwei Jahren waren um diese Jahreszeit bundesweit Hörsäle besetzt, Hunderttausende gingen im Laufe der Streikwochen auf die Straße. Wo stecken die Protest-Studis des Jahres 2011?

Mit einer Verbesserung der Bedingungen im Bildungssektor hat die geringe Beteiligung sicher nichts zu tun. Zwar ist der Etat von Ministerin Annette Schavan einer der wenigen im Bundeshaushalt, der wächst. Jedoch sind diese Steigerungen geradezu lächerlich, nimmt man die 32 Milliarden Euro als Vergleich, die die OECD als nötig erachtet, um das deutsche Bildungssystem auf den Durchschnitt der entwickelten Länder zu heben.

Die Realität zeigt, dass nicht nur kaum Verbesserungen im Bildungssystem erreicht wurden. Die Hörsäle sind überfüllt, die Stundenpläne eng, die Zugänge zu Master-Programmen zum Teil noch immer nicht gewährleistet. Zudem ist der Druck auf die Studierenden gestiegen.

Gordon Repinski

arbeitet im Parlamentsbüro der taz.

Trotz aktuell stabilen Arbeitsmarkts wachsen Schüler und Studierende in einem wirtschaftlichen Klima auf, bei dem sie wissen: Nur, wenn sie Praktika und Auslandsaufenthalte mit schnellem Studium und besten Noten kombinieren, haben sie gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Wer dieser Generation nun wegen des schleppenden Starts der Proteste vorwirft, sie sei unpolitisch oder desinteressiert, tut ihr Unrecht. Streiken ist immer auch der Luxus, sich Protest leisten zu können. Aktuell ist der gesellschaftliche Druck offenbar so groß, dass diese Freiheit nicht mehr vorhanden ist.

Diese Botschaft sollte die Politik auch ohne Hunderttausende DemonstrantInnen begreifen - falls ihr dazu zwischen ihren diversen Versuchen zur Euro-Rettung noch Zeit bleibt.

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7 Kommentare

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  • B
    Bernd

    "Trotz aktuell stabilen Arbeitsmarkts wachsen Schüler und Studierende in einem wirtschaftlichen Klima auf, bei dem sie wissen: Nur, wenn sie Praktika und Auslandsaufenthalte mit schnellem Studium und besten Noten kombinieren, haben sie gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. " - herrlich, wie der Verfasser hier offen zur Faulheit aufruft! Wie kleingeistig und provinziell muss man sein, um Leistung als negativ zu bewerten! Mal ganz abgesehen davon, dass hier ein Auslandsaufenthaft als negativ dargestellt wird - offenbar ist der Verfasser nicht nur provinziell, sondern ein offener Ausländerhasser. Schlimm.

  • K
    Kamu

    Ich glaube, diesmal hats einfach keiner mitgekriegt. Gabs ne Mobilisierung? An unserer Uni waren die Hörsäle voll und keiner wusste was vom Streik...

  • F
    Flo

    Liebe Vorrednerinnen und Vorredner,

     

    ich war selber dabei und selbstverständlich etwas enttäuscht, dass so wenige da waren (wie der Kommentator hier auf "[g]erade so [...] eine vierstellige Zahl erreicht" kommt, ist mir dennoch nicht klar; das haben wir ja allein in Köln schon erreicht). Aber der Autor hat recht. Es hat mich viel überwindung gekostet, statt zur Vorlesung zum Streik zu gehen; wer die Vorlesung nicht hört, fällt durch die Klausur und wer durch die Klausur fällt, bekommt (in meinem Fall) Maluspunkte und jeder Maluspunkt ist ein Schritt zur Exmatrikulation. Zudem hat es sich bei uns an der Uni noch lange nicht durchgesprochen, dass Anwesenheitslisten in den allermeisten Fällen inzwischen durch das Kultusministerium NRW untersagt wurden. Wer hier zweimal unentschuldigt fehlt, darf die Klausur nicht schreiben. Eine Klausur nicht zu bestehen oder sie nicht schreiben zu dürfen heißt, sie später (erneut) schreiben zu müssen. Dadurch verlängert sich das Studium. Dies bringt dann erhebliche Probleme für BAföG-Studierende mit sich, die normalerweise nur für die Dauer der Regelstudienzeit gefördert werden. Alles in allem stehen die Studierendem unter hohem Druck; das Studium entspricht keineswegs (mehr?) dem Klischee des ruhigen und entspannenden Lebensabschnitts.

  • AH
    Aus Haching

    Den Sinn von Bildungsstreiks habe ich nie verstanden. Die Gesellschaft stellt Ressourcen bereit, um Ausbildung zu ermöglichen. für ein Medizinstudium sind das einige hunderttausend Euro - für Germanistik immerhin noch einige zehntausend.

     

    Und diejenigen, die von der Zurvefügungstellung profitieren, streiken? Ein Arbeitnehmer streikt und übt so Druck auf den Arbeitgener aus, weil der nicht von der Arbeitsleistung profitieren kann. Der Student profitiert doch aber selbs am meisten (oder alleine) von seiner "Arbeitsleistung"...

     

    P.S. Wer bei Diskussionen um Bildung den Etat des Forschungsministeriums nennt, hat den deutschen Föderalismus nicht verstanden.

  • P
    Pepe

    Das Traurige ist, dass die meisten Studenten einfach kein Interesse an einer Demonstration haben. Nicht, dass die jetzige Situation nicht als "störend" empfunden wird, aber dagegen demonstrieren zu gehen....? Eigentlich finden die meisten die Proteste ja auch ganz gut, es fehlt nur einfach das Engagement und der Wille etwas auf der Straße zu verändern.

  • A
    Ans

    Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass selbst wenn die Proteste von den Politikern überhaupt wahrgenommen werden nichts als leere Versprechungen herauskommt. Ich erinnere mich noch genau an die Studentenproteste in Dresden gegen das neue Sächsische Hochschulgesetz der großen Koalition - 10.000 Studenten, die sächsische SPD-Bildungsministerin sprach zu uns, teils uneinsichtig, teils mit leeren Versprechungen, das Gesetz kam trotzdem, machte die Unis zu Betrieben und studentische Mitbestimmung zum Witz. In Berlin: Anti-Atom-Demo mit 100.000 Menschen, Meinungsumfragen für einen Atomausstieg, die Regierung beschloss das Gegenteil (bis Fukushima, aber da wollte die Regierung einfach nur den Anschein erwecken, sie sei noch handlungs-/regierungsfähig). Demonstrationen mögen gut für das Gemeinschaftsgefühl sein, doch nur Abwählen hilft wirklich...

  • T
    T.V.

    Keine Zeit zu leben, sorry. Weil: ist schon bald vorbei.

     

    Will sagen: das zu entschuldigen, hiesse den Grund für die Proteste zu entschuldigen. Der Grund für die Proteste liegt auch in der "Zeit ist Geld"-Mentalität. Entschuldbar ist für mich eher die scheinbar steigende Zahl der sich unbewusst an das Schema Anpassenden. Wenn die Wirtschaft regiert, lernt man lieber Wirtschaft als Politik. Einfache Rechnung.