Kommentar "Bild"-Hetze: Konservativer Gesinnungsterror
Der umstrittene "Zeit"-Blog war vielleicht nicht geschmackvoll. Doch es gibt viele Gründe, sich gegen die selbstgerechte Empörung von "Bild" und "FAZ" zu stellen.
E inen ungewöhnlichen Beitrag zur aktuellen Debatte um jugendliche U-Bahn-Schläger lieferte jüngst der Feuilletonchef der Zeit, Jens Jessen. In seinem Videoblog stellte er die Frage, ob es hierzulande nicht "zu viele besserwisserische deutsche Rentner gibt, die den Ausländern hier das Leben zur Hölle machen und den Deutschen auch".
Nein, besonders geschmackvoll war das nicht, zumindest nicht mit Blick auf den Vorfall in München. Aber auch kein Skandal, zumal ja einiger Grund zu der Annahme besteht, dass Jessen seinen Kommentar ironisch gemeint haben könnte. Dabei hätte man es bewenden lassen können.
Überhaupt keinen Spaß verstanden jedoch der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der sich als Erster auf Jessen stürzte, sowie die Bild-Zeitung, die das Zitat zum Anlass nahm, um ihn öffentlich an den Pranger zu stellen. Nur wenigen Lesern der Bild-Zeitung dürfte Jessen bislang bekannt gewesen sein oder dass er einen Videoblog betreibt. Nun wirft ihm ausgerechnet das Blut-und-Sperma-Blatt vor, das Opfer einer Gewalttat zu verhöhnen.
Es gibt viele Gründe, sich gegen diese selbstgerechte Empörung zu stellen. Nicht nur, weil sie von Bild-Chef Kai Diekmann und seinem Männerfreund Frank Schirrmacher gezielt geschürt wird, um einen alten Intimfeind zu denunzieren. Mit ihrem konzertierten Vorgehen stellen sie in Frage, ob es - zumal im spezifischen Rahmen eines Blogs - erlaubt ist, Ansichten zu äußern, die dem vermeintlichen Mehrheitsgeschmack widersprechen. Im Grunde richtet sich ihr Eifer damit gegen alle liberalen Stimmen, die nicht gewillt sind, in die von Bild, FAZ und Koch befeuerte Hysterie um "kriminelle Ausländer" einzustimmen. Das ist nichts anderes als konservativer Gesinnungsterror.
Jeder hat das Recht, Nonsens zu reden- auch Zeit-Redakteure. Andere tun das schließlich ständig. Gerade FAZ und Bild-Zeitung gehen in der aktuellen Debatte um Jugendgewalt ja selbst gerne bis an die Grenze des Zumutbaren, wenn nicht Justiziablen, indem sie rassistische Ressentiments bedienen. Dass hier die Empörung ausbleibt, sagt viel über die Stimmung im Lande.
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