Kommentar Bahnpolitik: Letzte Ausfahrt für Verkehrsminister
Nachdem Mehdorn Tiefensee bloßgestellt hat, kann dieser entweder draufhauen oder zurücktreten. Letzteres ist wahrscheinlicher.
D er Schwanz wedelt mit dem Hund. In scharfer Form hat Bahnchef Hartmut Mehdorn den SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee öffentlich angegriffen. Tiefensee habe in den vergangenen Wochen auch bei Unter-vier-Augen-Gesprächen die Börsen-Boni für den Bahnvorstand nicht erwähnt, so sein Vorwurf. Der Bahnvorstand sei deshalb über Tiefensee "enttäuscht und verwundert".
Die Botschaft Mehdorns an Tiefensee ist eindeutig: Kritik an den dreisten Bonuszahlungen für den Bahnvorstand beim geplanten Börsengang ist nicht gestattet - überhaupt solle sich der Verkehrsminister nicht in die inneren Angelegenheiten des bundeseigenen Mobilitätsunternehmens einmischen, dessen Aufsicht ihm obliegt. Direkter kann Mehdorn Tiefensee nicht bloßstellen. Tiefensee sagte gestern umgehend einen öffentlichen Termin ab - vermutlich, um sich eine passende Antwort zu überlegen. Mehdorns öffentliche Kritik kann er sich nämlich genauso wenig gefallen lassen, wie sich Joachim Löw, der Trainer der Fußballnationalmannschaft, die Vorhaltungen seines Kapitäns Michael Ballack bieten lassen konnte.
Jetzt müsste Tiefensee zeigen, wer Herr im Hause ist - oder aber zurücktreten. Dass es dem angeschlagenen Verkehrsminister gelingt, Mehdorn an die Kandare zu nehmen, ist jedoch zweifelhaft. Er hat das schließlich schon in der Vergangenheit nicht geschafft - warum also jetzt?
Böse Zungen haben schon immer behauptet, die Bahnpolitik werde gar nicht im Verkehrsministerium, sondern im Bahn-Hochhaus am Potsdamer Platz in Berlin gemacht. Die umstrittene Privatisierung der Bahn jedenfalls spricht für diese These: Stets wurde sie so gestaltet, dass der Bahnvorstand und die mit ihm kooperierende Gewerkschaft Transnet damit leben konnten.
So gesehen, könnte ein Rücktritt Tiefensees die Chance für einen Neuanfang bieten - auch wenn sich Mehdorn zunächst als Sieger fühlen würde. Voraussetzung für einen Neuanfang aber wäre, dass die Koalition einen Nachfolger präsentiert, der in der Lage und gewillt ist, Mehdorn Paroli zu bieten. Aber wer lässt sich auf so ein Abenteuer ein, das ohnehin nur wenige Monate bis zur Bundestagswahl währt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen