Kommentar Bagatellkündigungen: Emmelys erster Erfolg
Arbeitsrechtlich hat sich nichts geändert: Immer noch reicht ein Verdacht für eine Kündigung aus: Doch inzwischen reagiert die Öffentlichkeit viel sensibler.
D ass Unternehmen nicht mehr nur an Gesetzen, sondern an ethischen Maßstäben gemessen werden - gerade christliche Sozialverbände müssten sich darüber eigentlich freuen, auch die Caritas Seniorendienste Hannover.
Die Caritas Seniorendienste Hannover haben im letzten Geschäftsjahr keinen Verlust gemacht, weil MitarbeiterInnen auf Gehalt in Höhe von 1,3 Millionen Euro verzichteten. Nun hatte man einer Hilfspflegerin fristlos gekündigt, weil sie Teewurst auf ein selbst mitgebrachtes Brötchen geschmiert hat. Arbeitsrechtlich wäre das zulässig.
Erschreckend ist, dass den Beteiligten offenbar egal war, welche Schlagzeile der Fall hätte auslösen können: "Caritas kündigt Mitarbeiterin wegen Teewurst-Diebstahl" - kündigt Schwerbehinderter, könnte man ergänzen, obwohl die Körperbehinderung der Pflegerin irrelevant ist.
Auch wenn der Pflegedienst seit August nur noch zu 10 Prozent zur Caritas gehört und zu 90 Prozent einem evangelischen Träger, streitet er momentan weiter darum, den Namen behalten zu dürfen: Caritas. Nächstenliebe. Dass der katholische Dachverband sich innerhalb weniger Stunden distanzierte, spricht für einen öffentlichen Druck, den es noch vor einem Jahr so nicht gab.
Bagatellkündigungen waren lange kein Thema. Bisherige Urteile sagen: Es gehe nicht um den Sachwert, sondern um das Vertrauen, auf dem das Arbeitsverhältnis basiere. Und das könne durch jeden Diebstahl "irreparabel zerstört" werden. An dieser Rechtslage hat sich nichts geändert, auch nicht durch den Fall "Emmely". Was sich aber verändert hat, ist die öffentliche Aufmerksamkeit.
Und die hat nun zum ersten Mal den Ausschlag gegeben. Der evangelische Träger will die Kündigung zurückziehen und im Verband eine neue Stelle für die Hilfspflegerin suchen. Emmelys erster Erfolg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag