piwik no script img

Kommentar Baden-WürttembergDie grüne Selbstbeschränkung

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Grünen haben der SPD im baden-württembergischen Kabinett alle Schlüsselressorts überlassen. Aber das ist keine Kapitulationserklärung.

D ie SPD hat in der grün-roten Regierung in Stuttgart alle sogenannten Schlüsselressorts besetzt – Finanzen und Wirtschaft, Inneres, Justiz und sogar die Bildung. Die Grünen sind indes nur für Landwirtschaft, Umwelt und Verkehr zuständig. Haben sich die grünen Neulinge von den Sozialdemokraten über den Tisch ziehen lassen? Hätten die Grünen nicht mehr Machtwillen zeigen und neue Politikfelder besetzen müssen, anstatt es sich in ihrer ökologischen Nische gemütlich zu machen? Wollen die Grünen gar keine Volkspartei sein?

Wenn man der dürren Ämterlogik folgt, dann ja – aber auch nur dann. Denn die Grünen haben sich durchaus machtbewusst die Hoheit über zwei Schlüsselthemen gesichert: Stuttgart 21 und die Energiewende – die komplizierteste Herausforderung im Atomstrom-Ländle. Dafür sind die grünen Minister für Umwelt und Verkehr zuständig.

Diese Kabinettsliste ist keine Kapitulationserklärung der Grünen. Sie folgt eher der Logik, dass jeder macht, was er kann. Die Sozialdemokraten treiben sozialen Wohnungsbau voran, die Grünen fördern Ökobauern. Das ist nicht spektakulär, hat aber einen Vorteil: Es könnte funktionieren.

Bild: taz

STEFAN REINECKE ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.

Dass die Grünen der SPD viel Platz geben, verrät Weitblick. Die beiden Fraktionen sind fast gleich stark. Die SPD leidet im Stillen und ist leicht reizbar. Dass die Genossen so reich mit Ämtern beschenkt werden, soll da beruhigend wirken. Das ist rational. Internen Zwist kann sich Grün-Rot, das gegen die verkrusteten CDU-Strukuren im Land regieren muss, nicht leisten.

Vor allem aber zeigt die grüne Selbstbeschränkung in diesem Kabinett, dass die Partei nicht der Illusion erliegt, sie müsse sich nun wie eine allzuständige Volkspartei aufführen. Denn das sind die Grünen nicht. Sie haben zwischen Konstanz und Schwäbisch Hall knapp 8.000 Mitglieder, die SPD hat 5-mal, die CDU 10-mal so viele. Die Grünen sind auch soziologisch keine Volks-, sondern eine klassische Milieupartei. Sie sind städtisch und akademisch, mit vielen Lehrern und Beamten, wenigen Arbeitern, wenigen Dörflern. Die Grünen waren bei den Wahlen erfolgreich – tief in der Gesellschaft als Ganzem verwurzelt sind sie nicht.

Nichts wäre für die Grünen da gefährlicher, als sich Kompetenzen anzumaßen, über die sie nicht verfügen. Deshalb ist Kretschmanns Kurs richtig – nicht unprofessionell, sondern angemessen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • DP
    Daniel Preissler

    @Fritz

    ich habe leider gerade bei einem anderen (verlinkten) Artikel deinen Kommentar kommentiert. Jetzt stelle ich hier fest, dass das völlig sinnlos ist.

    Grüße, D

  • FK
    Fritz Katzfuß

    Unabhängige Presse? Da lachen die Hühner. Vollkommen abhängig von der grünen Partei. Ein falsches Wort! Man sehe sich mal diesen "kritischen" Artikel an. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Nichts Neues unter der Sonne.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Die Grünen haben im Ländle zwar viel vor, sitzen aber keinen Utopien auf. Hier gibt es ein sehr lesenwertes Interview mit dem Landeschef Chris Kühn:

    http://bit.ly/mgQGMX

  • D
    derfürdiepr

    Stefan Reinecke fügt sich wunderbar windungsreich in die Redaktionsriege, die seit gefühlten Monaten ebenjene urbürgerliche Koalition aus Grünen und SPD im Südwesten zur Revolutionsbewegung hochjuxt. Reinecke und seinen zahlreichen Mitsreitern gebührt ein Platz in der plumpen Serie zu den neuen Regierungsmitgliedern: Reinecke ist der für die PR.

  • A
    Andreas

    Ich weiß nicht für wie erfolgreich ich ein politisches Vorgehen halten soll, das einer ausführlichen Erklärung durch Dritte bedarf um als erfolgreich wahrgenommen werden zu können.

  • N
    nihi.list

    "Dass die Grünen der SPD viel Platz geben, verrät Weitblick."

     

    Das stimmt allerdings. Wenn denn dann der ganze Koalitionsladen zusammenbricht, weil demnächst Ideologie auf Realität trifft, dann können sich die Grünen wieder mal aus der Verantwortung stehlen und auf die SPD zeigen.

     

    "Die Grünen sind ... städtisch und akademisch, mit vielen Lehrern und Beamten,..."

     

    Genau, die wahren Stützen einer jeden Gesellschaft. Von der Schule an die Uni und dann wieder zurück an die Schule bzw. auf den Beamtensessel.

  • V
    vic

    "Die Sozialdemokraten treiben sozialen Wohnungsbau voran"

    Das will ich sehen.