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Kommentar Aufstand in ÄgyptenIm Zweifel für die Potentaten

Kommentar von Christian Semler

Jahrelang unterstützen europäische Mächte die arabischen Regime und schwiegen zu deren Verbrechen. Jetzt sind sie auf einmal ganz schnell mit ihren Urteilen. Zu spät.

N ach langen Jahren, in denen die europäischen Mächte und die EU die arabischen Gewaltherrscher unterstützten und sich ausschwiegen angesichts massiver Menschenrechtsverletzungen, ist jetzt hektische Aktivität ausgebrochen. Bereits am Wochenende hatten Angela Merkel, Nicolas Sarkozy und David Cameron den ägyptischen Präsidenten aufgefordert, "einen Wandel einzuleiten". Dies zu einem Zeitpunkt, als von den ägyptischen Demokraten der sofortige Rücktritt von Mubarak als Grundbedingung für Verhandlungen gefordert worden war.

Am Donnerstag haben sich zu der Dreierrunde noch Italiens Silvio Berlusconi und Spaniens Luis Zapatero gesellt. Die fünf Kernmächte der EU verurteilten jede Gewaltanwendung in Ägypten, traten für das Demonstrationsrecht ein und verlangten von dem Militär, dieses Recht zu schützen. Zentrale politische Forderung war ein "schneller und geordneter Übergang zu einer Regierung, die die Bevölkerung stärker vertritt". Lady Ashton, Außenministerin der EU, sekundierte. Sie forderte, "das Volk vom Militär beschützen zu lassen".

Zu wenig, zu spät. In den Augen oppositioneller arabischer Demokraten haben die europäischen Mächte und die EU jede Glaubwürdigkeit in Sachen Menschenrechte eingebüßt. Wo in den vergangenen Jahren seitens der Europäer Menschenrechte postuliert und - wie im Fall der nordafrikanischen Maghreb-Staaten - in Vertragswerke mit der EU niedergelegt wurden, blieben sie auf dem Papier.

Bild: w. borrs

CHRISTIAN SEMLER, 72, arbeitet seit 1989 für die taz. Für seine Unterstützung der demokratischen Bewegungen im Ostblock erhielt er 2010 von Polens Präsident Komorowski die Dankesmedaille des Europäischen Zentrums der Solidarnosc.

Notorische Gewalttäter wie noch wenige Wochen vor Beginn des Aufstands Tunesiens Ben Ali wurden Lieblingskinder der EU. Und Westerwelle - ganz sicher in Übereinstimmung mit der EU - lobte Mubarak als "einen Mann enormer Erfahrung, großer Weisheit, der die Zukunft fest im Blick hat".

Das Verhalten der EU zu arabischen Potentaten ist kein bedauerlicher Einzelfall. Unter vielen Beispielen für die Menschenrechtspolitik der EU nur eines: Dem usbekischen Potentaten Karimow wird von der EU im Januar 2011 der Teppich ausgerollt, obwohl seine Verbrechen notorisch sind. Gegen Karimow hatte die EU nach dem von ihm befohlenen Massaker in Andischan 1996 Sanktionen erlassen. Sie wurden 1999 wiederaufgehoben, ohne dass irgendetwas aufgeklärt worden wäre.

Wo immer die EU für ihre Mitgliedsländer zentrale Positionen in Stellung bringt - Abwehr der Flüchtlinge an den Mauern der Festung Europa, Sicherung der Energiequellen -, überall ist ihr jeder Gewaltherrscher recht, soweit er Stabilität zu verbürgen scheint. Es ist dieser Fetisch Stabilität, für den die EU jetzt die Quittung erhält.

Lady Ashton hat gegenüber der Forderung, die EU müsse vernehmlich und nachhaltig Menschenrechtsverletzungen anprangern, auf das Primat der "stillen Diplomatie" verwiesen. Die Resultate dieser Politik sind ärmlich. Der Schaden aber, der durch die selektive Behandlung von Menschenrechtsverletzungen für die Glaubwürdigkeit der EU entstanden ist, wird schwer zu reparieren sein.

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8 Kommentare

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  • HP
    Heinz Plehn

    Naja, Herr Semmler kennt sich da ja aus - hat jahrelang die mörderische, maoistische chinesische

    Politik in den 70ern verteidigt und erst spät "die

    Kurve" gekriegt ("Viererbande Semler, Horlemann, Hutter und Heuler"). mfG, H.Plehn

  • M
    mmme

    guter artikel, der trifft.

    @interpretator: eigeninteressen gut, dann aber die europa-eigene scheinheiligkeit aufgeben, um konsequent zu sein und nicht ländern, die nach EU interesse handeln "fortschrittlich und vorzeigeland der region" nennen (hat man bei tunesien und ägypten gesehen wie fortschrittlich sie waren, null!), während jene die dies nicht tun, weil sie entweder ökonom. konkurrenten (bsp. china) o. a. sind dann mit menschenrechtseinhaltung und demokratiedefiziten kommen. die haben die anderen auch.

     

    das ist meiner meinung nach eurozentrismus in reinkultur: den guten namen der EU, eher positive vorurteile, die europa meist in der übrigen welt noch besitzt zu benutzen, um in moralischer oberlehrermanier die welt in gut und böse einzuteilen und seinen nutzen daraus zu ziehen.

     

    dieser artikel beschreibt wieder einmal gut wie wenig europa die rolle des moralischen weltrichters zu gesicht steht.

  • H
    hto

    "Die EU hat ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt"

     

    - langsam sollte es den Konsumautisten und Mittelstandsbewahrern bei uns aufgehen, daß unsere "Demokratie" keine vorbildlich-nachahmenswerte ist, damit die Diktatur des Kapitals vollends gebrochen wird und wahrhaftige Menschenwürde unserem Globus eindeutig und zweifeslfrei macht, besonders damit sich das Gespenst des WK III endlich verflüchtigt!?

  • C
    Claus

    Das Massaker von Andijan fand 2005 statt. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die EU bereits 1996 deshalb Sanktionen verhängt hat - soviel Voraussicht wäre wirklich bemerkenswert.

  • I
    IAdmitIAmCrazy

    Interpretator schreibt:

     

    "Wenn wir es ernst mit interkulturellen Respekt meinen, müssen wir jedem Volk seine eigene Entwicklung lassen."

     

    Was, wenn diese Völker sich bereits selbst festgelegt haben? Z.B. hat das Ägypten Hosni Mubaraks am 25. Juni 1986 die Internationale Konvention gegen Folter unterschrieben. Ägypten ist auch dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte beigetreten, der seit 1976 völkerrechtlich wirksam ist.

     

    Ich schlage vor, dass Interpretator sich einmal diese Verträge zu Gemüte führt, bevor er sich zum hehren Kämpen wider den Eurozentrismus aufschwingt. Verlogener geht's nimmer.

  • S
    Suomipoika

    An Miebozek: Nun, ich fürchte, wir brauchen nicht allzu sehr auf unsere Politiker zu achten. Es gibt in Brüssel und Berlin genügend Lobbyisten, die dies für uns tun.

    Außerdem: Deutsche und Volksaufstand? Das passt genauso zusammen wie Eisbären in der Sahara...

     

    Aber ich stimme dem Kommentar vollkommen zu. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass Politiker auf der ganzen Welt kein wirklich hohes Ansehen und Vertrauen seitens der Bevölkerung genießen.

  • I
    Interpretator

    Das primäre Interesse unserer Regierungen muss auf dem Wohlergehen der Völker in der EU liegen. Solange Mubarak Ägypten regierte, war es vernünftig und in unserem Interesse, eine gute Zusammenarbeit zu sichern. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, unsere Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten der restlichen Welt aufzunötigen. Das würde bedeuten, ein westliches Menschenbild anderen Kulturen überzuzwingen, die dieses evtl. gar nicht wollen. Wenn wir es ernst mit interkulturellen Respekt meinen, müssen wir jedem Volk seine eigene Entwicklung lassen. Wir können neue Demokratien begrüßen und unterstützen, aber diese müssen aus sich selbst heraus entstehen.

     

    Deshalb sind die Statements gegen die bisherige EU-Politik naiv und ... eurozentrisch.

  • M
    Miebozeck

    Ich stimme Herrn Semler zu. Nur beim Schlußwort, befürchte ich, ist es bereits viel zu spät:

     

    "Der Schaden aber, der durch die selektive Behandlung von Menschenrechtsverletzungen für die Glaubwürdigkeit der EU entstanden ist, wird schwer zu reparieren sein."

     

    In den Augen der meisten Maghrebianer ist der Schaden überhaupt nicht mehr reparierbar. Und wir Europäer sollten wie nie zuvor auf unsere Politiker aufpassen, denn, wenn diese so weitermachen wie bisher, gibt es auch hier einen Volksaufstand.