Kommentar Aufklärung von Polizeigewalt: Revolutiönchen im Korps
Jahrelang mussten Opfer von Polizeigewalt vor allem mit einem rechnen, dem unbedingten Korpsgeist. Nun scheint diese Mauer ganz langsam zu bröckeln.
E s ist jedes Jahr das Gleiche. Am 1. Mai versammeln sich linksradikalen Revolutionsanhänger zu ihrem Jahrestreffen in Berlin, zoffen sich mit der Polizei, und am Ende findet eines mit Sicherheit nicht statt: die Revolution.
Diesmal aber gibt es wenigstens ein Revolutiönchen - bei der Polizei. Denn die stöhnt erstmals nicht mehr nur über brutale Demonstranten, sondern auch über gewalttätige Kollegen. Gleich drei Berliner Beamte haben Anzeige erstattet, weil sie von Polizisten geschlagen oder mit Pfefferspray traktiert wurden.
Jahrelang mussten Opfer von Polizeigewalt vor allem mit einem rechnen: dem unbedingten Korpsgeist. Aus übertriebener Kollegialität oder aus Angst vor Mobbing haben die meisten Polizisten geschwiegen, wenn Kollegen über die Stränge geschlagen haben. Nun scheint diese Mauer ganz langsam zu bröckeln.
GEREON ASMUTH leitet das Berlin-Ressort der taz.
Das zeigt auch die Aussage eines Polizisten vor dem Landgericht in Magdeburg. Dort wird erneut der Tod des Sierra-Leoners Oury Jalloh verhandelt, der 2005 in Polizeigewahrsam elendig verbrannte. Sechs Jahre später hat ein Beamter der Version seiner Kollegen über den Hergang widersprochen. Das könnte dem Prozess die entscheidende Wende geben.
Diese Fälle sind keineswegs nur einem allgemeinen Gesellschaftswandel geschuldet. Zumindest in Berlin wird dieses Vorgehen von oberster Stelle gefördert. Der Ende des Monats in den Ruhestand gehende Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch ließ konsequent Ermittlungsverfahren einleiten, wenn Vorwürfe gegen seine Beamten bekannt wurden.
Auch um zu zeigen, dass die Anschuldigungen in vielen Fällen zu Unrecht erhoben wurden. Glietsch weiß: Eine Polizei, die sich um Recht und Ordnung kümmert, muss zunächst in den eigenen Reihen dafür sorgen. Nur dann verdient sie das Vertrauen der Bevölkerung.
Die Ermittlungen im Fall Polizei gegen Polizei werden nun zeigen, was stärker ist: der Aufklärungswille oder die Geschlossenheit der Truppe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin