piwik no script img

Kommentar AtomausstiegEin Moment wie der Mauerfall

Bernhard Pötter
Kommentar von Bernhard Pötter

Die spannende Frage ist, ob diese Regierung sich die Empfehlungen der Ethikkommission zu Herzen nehmen wird. Mit dem Gutachten hat sie alle Gründe dafür in der Hand.

E s ist ein bisschen wie im Film "Good Bye Lenin!". Wer vor drei Monaten ins Koma gefallen wäre, würde Deutschland heute nicht mehr wiedererkennen. Die Ethikkommission, die die Bundesregierung berät, legt heute ihren Bericht vor, der ein völlig neues Kapitel in der deutschen Energiepolitik aufschlagen soll: weg vom Atom, hin zu mehr Effizienz und Erneuerbaren, Klimaschutz, Innovation, Bürgerbeteiligung.

Historische Momente erkennt man meist nicht, wenn man direkt danebensteht. Und man sollte mit diesem Etikett sehr sparsam sein. Aber hier ist einer: der Fahrplan eines Industrielandes zu einer zukunftsfähigen Energieversorgung, jenseits des gefährlichen und teuren Atoms und der dreckigen Kohle. Das hat es noch nicht gegeben, es geht in die richtige Richtung - und die Welt schaut zu.

Die spannende Frage ist, ob diese Regierung sich die Empfehlungen zu Herzen nehmen wird. Politisch und ökonomisch hat sie mit dem Gutachten alle guten Gründe dafür in der Hand. Innenpolitisch kann Angela Merkel hinter ihre plötzlich heftig erwachte Aversion gegen die Atomkraft nicht mehr zurück. Und auch machtpolitisch macht dieser Schwenk Sinn: Nur eine wirtschaftsnahe konservative Regierung kann eine solche Wende vollziehen, weil sie die lautesten Gegner dafür in den eigenen Reihen hat.

Bild: taz

BERNHARD PÖTTER leitet das taz-Ressort "Umwelt und Wirtschaft".

Nur eine rot-grüne Regierung konnte, im Kosovo-Konflikt, deutsche Soldaten zum ersten Mal wieder in einen Krieg schicken. Nur Schwarz-Gelb kann aus der Atomkraft aussteigen, ohne dass die Republik im Streit gelähmt wird.

Setzt Merkel die Empfehlungen der Ethikkommission um, wäre das nicht der mühsam erquälte Kompromiss, zu dem Rot-Grün sich vor einem Jahrzehnt durchgebissen hatte, sondern ein wirklicher Atom-Konsens. Er steht auf den Schultern von tausenden Demonstranten, Experten und Politikern, die sich für ihre Vision einer Energiewende über Jahrzehnte hinweg körperlich und verbal haben verprügeln lassen. Ohne ihre Vorarbeit gäbe es den Bericht der Ethikkommission nicht, und ohne den rot-grünen Ausstieg und den Anschub der erneuerbaren Energien im EEG wäre er utopisch.

Die Ethikkommission hat recht: Es ist an der Zeit, diesen Konflikt zu beenden - und es sieht so aus, als hätten die Atomkraftgegner gesiegt. Das ist schön für sie und gut für das Land. Manchmal braucht man etwas Abstand, um zu begreifen, dass die Mauer gefallen ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • JV
    Jenseits von Böse

    Hallo Lenin, wer hat denn da zu lange geschlafen? Der Ausstieg wurde vor 10 Jahren eingeleitet - getragen von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung und im Konsens - den Atommafia und Schwarz-Gelb in ihrer Gier letztes Jahr aufgekündigt haben.

     

    Historisch ist am Wiedereinstieg in den Ausstieg gar nix. Die Politiker laufen nur den davonlaufenden Wählern nach, das ist alles. Keine Sorge, die Schwarz-Gelben sind weiter den Energieriesen verpflichtet - und die weiterhin ihrem Profit, auf unsere Kosten.

     

    Die Ethikkommission - welch hehrer Name für einen Töpferkurs - und eine "Sicherheitsüberprüfung" der AKWs nach Aktenlage waren Alibi-Veranstaltungen ohne Wert, Rückzugsmanöver der Politnasen zur Verbrämung der Kehrtwende.

     

    Wenn es was zu feiern gäbe, dann wäre es die immer noch vorhandene Kraft der Anti-AKW-Sonne und die Wut, die wir nochmals mobilisieren mussten. Geht doch!

     

    Aber bevor wir uns an der Wiederkehr eines längst errungenen Sieges berauschen, sollten wir der Atommafia und ihren Regierungspaten auf die Finger schauen: gerade zerlegen sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, und längst wird in den Hinterzimmern gekungelt, wie man uns die Rechnung für die Wiederholungsparty unterjubeln kann.

     

    Ich weiss nicht, was an dieser Farce historisch sein soll.

  • R
    reblek

    "Nur eine rot-grüne Regierung konnte, im Kosovo-Konflikt, deutsche Soldaten zum ersten Mal wieder in einen Krieg schicken. Nur Schwarz-Gelb kann aus der Atomkraft aussteigen, ohne dass die Republik im Streit gelähmt wird." Lieber Bernhard Pötter, es gibt Vergleiche, die hinken. Es gibt Vergleiche, die bescheuert sind. Aber Ihr Vergleich ist vollkommen absurd. Den Krieg von Schröder-Fischer auf eine Ebene - welche auch immer - mit dem Ausstieg aus der "friedlichen" Nutzung der Kernenergie zu stellen! Dass Ihnen das aus der Redaktion heraus (noch) niemand gesagt oder geschrieben zu haben scheint, lässt auf eine ziemlich bodenlose Gleichgültigkeit schließen.

  • T
    Tichodroma

    Ich kann nicht erkennen, was an den den Regierungsplänen ein "wirklicher Atom-Konsens" sein soll. Konsens heißt, dass niemand mehr widersprechen muss. Das ist deutlich nicht der Fall, wie die zu Recht wütenden Reaktionen der Umweltverbände zeigen.

  • N
    Normalo

    Natürlich konnte nach dem Beschluss das Triumphgeheul der AKW-Gegner nicht lange auf sich warten lassen, aber es ist verspätet und unangemessen euphorisch. Die unumstößliche Entscheidung zum Ausstieg wurde schon viel früher getroffen, nämlich bereits unter Helmut Kohl, und sie hat auch damals schon nicht das weltweite Umdenken hervorgerufen, dass sich heute die Anti-Atom-Lobby wünscht.

     

    Bereits seit Kohl in Reaktion auf Tschernobyl ein Umweltministerium in die Welt rief, war nämlich das Schicksal der Kernenergie in Deutschland besiegelt. Es ging faktisch bereits seit damals nur noch um den Zeitpunkt (man könnte jetzt pfiffig bemerken, dass es auch beim Zusammenbruch des Sozialismus immer nur um das "Wann" ging, nicht um das "Ob", aber das wäre ein anderes Thema...). Tatsache ist nämlich, dass Kernreaktoren immer schon nur eine begrenzte Lebensdauer hatten und dass seit Tschernobyl - vornehmlich aus Kostengründen - nicht ein einziger neuer Reaktor in Deutschland projektiert worden ist. Wie kann man also behaupten, der Ausstieg sei erst jetzt beschlossen worden? Dass er kommt, steht schon seit 25 Jahren fest.

     

    Vor diesem Hintergrund ist es auch Augenwischerei, jetzt Hoffnung zu schüren, der Rest der Welt werde Deutschland auf einmal als leuchtendes Beispiel wahrnehmen. Der wesentliche Unterschied war bereits seit den 80ern, dass in Deutschland Sicherheitsbestimmungen herrschen, die es sonst nirgends gibt und die den Bau weiterer Kernreaktoren unlohnend machten. Das wurde in den anderen Betreiberländern immer schon eher als übertrieben betrachtet, weil dort ein der deutschen Reaktion vergleichbarer Aufschrei sowohl nach Tschernobyl alsauch nach Fukushima schlicht ausblieb.

     

    Also wird auch nach Fukushima und nach dem neuen Zeitplan für den Ausstieg der deutsche Weg der Einzelfall bleiben, der er schon in den vergangenen 25 Jahren war.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Innovation entsteht aus Chaos – in diesem Sinne interpretiert bedeutet Fukushima nicht nur menschliches Leid, sondern auch Hoffnung. Nämlich die auf einen schnellen Ausstieg aus der Risiko-Technologie. Gut möglich, dass Deutschland mit der Energiewende Vorreiter eines globalen Bewusstseinswandels ist:

    http://bit.ly/lDBqSW

  • S
    Stimmvieh

    Dass Schwarz-Geld nun tatsächlich den Ausstieg aus der Kernenergie für sich entdeckt hat, klingt erstmal gut, ich glaube es aber trotzdem erst, wenn in Deutschland das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet ist.

  • RF
    Rosemarie Finke-Thiele

    Bitte noch nicht das Bärenfell verteilen, bevor der Bär geschossen ist... soll heißen: der historische Moment des Atomausstiegs muss noch im Bundestag besiegelt werden - dann kann gefeiert werden.

    Ich fürchte, wir müssen noch mehr Druck machen, damit das Gekungel bei Schwarz- gelb nicht allzu groß wird.

    Also, Ärmel aufkrempeln und weitermachen: Atomausstieg - jetzt !