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Kommentar AsyldebatteAus einem Rinnsal eine Flut machen

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Von einer Flut von Neuankömmlingen kann keine Rede sein. Die Union setzt trotzdem auf die Ressentiments gegen die Roma.

Spricht für sich. Bild: dapd

K eine Frage: Es ist kein ernst gemeintes Angebot des serbischen Präsidenten Ivica Dacic. Niemand glaubt wirklich, dass Serbien bald Geld nach Berlin überweisen wird, um dem deutschen Staat mit seiner vielfach höheren Wirtschaftsleistung die Kosten für serbische Asylbewerber zu erstatten.

Doch die Furcht vor dem Entzug der Visafreiheit sitzt tief in den Balkanstaaten, die nicht auf einen baldigen EU-Beitritt hoffen können. Sollte sich Deutschland damit durchsetzen, dass Serben und Mazedoniern der freie Zugang zum Schengen-Raum wieder versperrt wird, dürfte sich die Wut der Bevölkerung vor allem gegen die eigene Regierung richten, die dies nicht verhindert hat.

Die absurde Offerte der serbischen Regierung zeigt: Die Maßstäbe in der Debatte um die angebliche Flut von Asylbewerbern vom Balkan sind gehörig verschoben.

Seit Tagen legen Innenpolitiker von CSU, CDU und SPD immer neue Vorschläge auf den Tisch, die unverblümt darauf zielen, Roma die Lust zu nehmen, nach Deutschland zu kommen. Flankiert werden diese Vorstöße mit der Präsentation „explodierender“ Zahlen angeblich missbräuchlicher Asylanträge von Roma aus diesen Staaten – und den angeblich ebenso unüberwindlichen Schwierigkeiten, vor denen die deutschen Kommunen deshalb stehen.

Christian Jakob

ist Redakteur der taz.

Dem Innenministerium dürften die steigenden Antragszahlen jedoch wie bestellt gekommen sein. Denn nachdem das Verfassungsgericht im Juli entschieden hat, dass Flüchtlinge nicht länger mit niedrigeren Sozialleistungen abgespeist werden dürfen, ist das Tauziehen um ihre künftige Versorgung voll im Gang. Immer wieder hat die Union klargemacht, was sie davon hält, das Urteil umzusetzen und Geduldete und Asylsuchende endlich besserzustellen: nichts.

Tatsächlich kann von keiner Flut von Neuankömmlingen, sondern nur von einem Rinnsal gesprochen werden. Die absoluten Zahlen sind gering: Knapp 50.000 waren es im letzten Jahr, das ist ein Bruchteil des deutschen Bevölkerungsschwunds. Die Vorstellung, ein Land mit 80 Millionen Einwohnern könnte damit bereits überfordert sein, ist abwegig.

Der anstehende Wahlkampf wird noch viele schrille Töne mit sich bringen. Denn die Union weiß genau: Auf die Reflexe einer Bevölkerung, die durch Bilder überquellender Notunterkünfte in Alarmstimmung versetzt wird, ist Verlass. Und auf die Ressentiments gegen Roma erst recht.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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11 Kommentare

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  • G
    Georg

    Wenn durchschnittlich 90 % der Anträge Abgelehnt wurden geht es nicht um den Zustrom von Ausländern, sondern um die Verwaltungsarbeit.

     

    Im Sep wurden 1395 Anträge in Deutschland eingereicht. Das ist ein Rekord und zu viel für Deutschland.

     

    Zum Vergleich: Ein einzelner Hausarzt in Deutschland hat im Durchschnitt ca. 1000 Patiententermine jeden Monat und das ist normal (Ärztereport Barmer).

  • TL
    Tim Leuther

    @meine sache

     

    Machen Sie sich nichts vor: Die damalige Verschärfung war durch die Mehrheit des Souveräns gedeckt. Gegen eine Lockerung jetzt wäre die Mehrheit des Souveräns.

     

    Und der Souverän ist die ultimative Instanz einer Demokratie.

  • M
    muckel

    @Michel D.

     

    Es würde auch heute keiner gezwungen an der Tafel zu stehen wenn die Leute noch in Lage wären zu haushalten.

     

    Im Gegenteil Tafeln nehmen diesen Menschen auch noch das letze Stück Eigenverantwortung, aber ich versteh die Initatoren, nur abhängige Menschen oder welche die sich dafür halten brauchen Parteien wie die Linksparteien oder den DGB.

     

    Die die dort stehen geben ihr zugeteiltes Geld halt lieber für was anders aus, nicht alle aber viele.

     

    Und bevor jetzt wieder die antisoziale Keule kommt, ja ich hab auch schon H IV bezogen, und ja ich weis was Armut heisst, und ich weis was auf den Ämtern los ist.

     

    Unterhalten sie sich doch mal mit den Leuten da, draussen beim rauchen während sie warten. Sehr intressant und sehr erhellend.

  • MD
    Michel D

    Geld ist genug da. Es konzentriert sich nur immer mehr in den Taschen von immer wenigr Leuten. Würden die mal endlich zum Teilen gezwungen, statt mit immer mehr Geld von unten verwöhnt, bräuchte hier auch bei offenen Grenzen keiner an der Tafel stehen.

  • E
    Eulenspiegel

    Solange der deutsche Bürger vor der Tafel stehen muss, sollte man sich einmal Gedanken darüber machen, was hier falsch läuft-, bevor man die ganze Welt glücklich machen will.Es ist angeblich nie Geld da. Soll das BVG das bezahlen, was es uns durch seine Dummheit eingebrockt hat. Es ist an der Zeit, dass man diese Maskerade mal durch Menschen besetzt, die nicht wohlhabend sind. Diese Leute kennen keinen Verzicht.Verzichten müssen demnächst die anderen, die dieses Urteil ausbaden müssen.Hätte man es so belassen wie es war, dann wäre nicht einmal die Hälfte der Menschen hier rüber gekommen. Nur,wenn es um den Unterhalt der eigenen Bürger geht tut sich das BVG sehr schwer.Das Hartz IV gegen das Grundgesetz verstößt, hat diese Kerle bisher wenig interessiert.

  • R
    @RedHead

    ...weil die Dunkelziffer jener, die sich nicht in den Notunterkünften melden, wesentlich höher sind. Kommen Sie im Sommer doch einmal nach Berlin und schauen sich die Situation vor Ort an. Hier leben die Menschen dann im Park, in Hauseingängen und in ihren Autos. Da weder in Autos, noch Hauseingängen oder dem Park entsprechende Sanitäreinrichtungen vorhanden sind, nutzen die Leute eben andere ihnen zur Verfügung stehende Orte, um sich zu erleichtern. Was wiederum für Anwohner und die kleine Geschäfte nicht schön ist. Mal ganz davon abgesehen, dass es sicher auch den Zugereisten nicht angenehm ist.

    Die Situation ist also ernster als Sie, lieber RedHead, es hier darstellen wollen. Aber leider ist es so, dass man in Deutschland bestimmte Probleme nicht thematisieren darf, ohne dass aus irgendeiner Ecke gleich Verneinungen und Vorwürfe der Hetze kommen.

  • V
    vic

    @ RedHead

    Ja, warum eigentlich.

    Ich glaube das Problem ist, es ist niemand da, der die verbieten kann. Und die Leute lieben sie, weil sie genauso denken.

  • MS
    meine sache

    Ich find es schön, wie offen die Taz eben jene Partei aufzeigt, die am liebsten gegen alles flüchtende in Deutschland vorgeht, bzw. am liebsten gleich wieder abschiebt.

     

     

    Nur sollten wir nicht vergessen, damals, in den 90ern, als in diesem Staat die neuen (oder auch: widerwärtigen) Asylgesetze beschlossen worden sind, war eine 2/3 Mehrheit notwendig.

    Wieso also nur die CDU/CSU dafür anprangern, dass sie heute noch gegen die wenigen Flüchtlinge vorgeht, wenn doch die SPD genauso verantwortlich war wie die CDU/CSU, dass es heute nur so wenig sind.

     

    Wie in der taz gern erwähnt: In den 90ern, als sich viele Deutsche noch offen zu ihrem Nationalstolz und ihrer braunen Gesinnung bekannten, waren es beinahe 500.000 Flüchtlinge.

     

     

    Also erstmal Danke an die CDU/CSU dafür, dass auch noch der letzte Flüchtling gehen muss und natürlich danke ich auch der SPD für ihre Mittäterschaft, dass wir nun viel weniger Asylanten abschieben müssen als früher, weil es ja nur noch ca. 10% sind.

     

    Danke politische Mitte

  • TO
    the O

    man sollte die anderen Parteien davon nicht ausnehmen. 'Welcome to Nationalstaat'....

  • TO
    the O

    Diese Debatte zeigt leider, dass sich Geschichte immer schön im Kreis dreht.

    Politikeliten schüren Ängste und die Boulevard'zeitungs'leser drehen am Rad.

  • R
    RedHead

    Und warum sind sind CDU/CSU eigentlich noch nicht verboten? Volksverhetzung ist ja nur eines von sehr vielen Verbrechen.