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Kommentar Armut in DeutschlandSchwierige Fragen

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Das Armutsrisiko ist keine regionale kulturelle Besonderheit, sondern mit der Konzentration von Wirtschaft und Politik auf die Export-Industrie gewachsen.

Bild: taz

Ulrike Winkelmann ist Redakteurin im Inlandsressort der taz.

Wir wissen jetzt, wie sich die Armut über die Republik verteilt. Das haben wir dem "Armutsatlas" des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zu verdanken.

Der Atlas wirft erneut Fragen auf, die gerade im Wahl- und Jubeljahr zum Mauerfall nur ungern diskutiert werden. Etwa: Muss man sich vielleicht damit abfinden, dass in einem so großen Land wie Deutschland ganze Regionen abgehängt werden? Der Atlas belegt ja erneut: Das Geld sitzt im Süden. Im Osten hingegen ebenso wie in vielen Regionen Nordwestdeutschlands sieht es erbärmlich aus. War also die Sache mit den "gleichwertigen Lebensverhältnissen", die das Grundgesetz für die ganze Republik fordert, nicht schon immer ein Missverständnis? Und schließlich: Warum kommen diejenigen, die in Vorpommern herumsitzen, jammern und Nazis wählen, nicht einfach nach Baden-Württemberg?

Angesichts der Wirtschaftskrise dürfte diese in Westdeutschland bislang verbreitete und stets überhebliche Sichtweise einige Anhänger verlieren. Immerhin schlägt sich der Einbruch der Exportindustrie in den Wohlstandsfabriken des Südens eher nieder als in Sachsen-Anhalt oder im vorpommerschen Hinterland. Dass dies zu einer gewissen Annäherung der Einkommensverhältnisse führen könnte, ist jedoch wahrhaftig kein Trost. Immerhin aber wird dadurch, dass in Baden-Württemberg viele tausend Menschen nun ebenfalls von Armut bedroht sind, die Armutsdebatte wieder politisiert. Denn das Armutsrisiko ist keine regionale kulturelle Besonderheit, sondern ist mit der Konzentration von Wirtschaft und Politik auf die Export- und namentlich die Autoindustrie gewachsen.

Wenn der Paritätische Wohlfahrtsverband jetzt verlangt, das Arbeitslosengeld II anzuheben, hat er damit natürlich recht. Auf jeden Fall wäre eine relevante Erhöhung des Hartz-IV-Satzes im zweiten Konjunkturprogramms unbedingt nötig gewesen. Trotzdem kann das nicht die maßgebliche Kritik an der Konjunkturpolitik der Bundesregierung sein. Konjunkturprogramme dienen nicht in erster Linie der Armutsbekämpfung. Sie sollen der heimischen Wirtschaft Aufträge verschaffen.

Das nächste Konjunkturprogramm kann daher nur eines sein, das statt Abwrackprämien Auswege aus der Autoexportfixierung bietet. Nur dann werden sich die Farben im Armutsatlas vielleicht wieder angleichen.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

8 Kommentare

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  • A
    Amos

    Wo ist denn die, so oft geforderte Solidarität. Im

    eigenen Lager der Politik scheint sie wohl nicht stattzufinden. Man siehe die Armut im Ruhrgebiet.

    Nach dem Krieg hat die Ruhrindustrie besonders die

    südlichen Länder doch wieder aufgebaut-, da ist viel

    Geld in den Süden geflossen, weil hier die Industrie das meiste her gab. Stehen die besser gestellten Länder nicht in der Pflicht, jetzt den

    schlechter dastehenden Ländern zu helfen? Und solange sich das Volk alles gefallen lässt, werden mehr und mehr in die Armut fallen. Dieses

    System gedeiht im Namen der Politik und Lobbyisten in der Ungerechtigkeit.

  • S
    Sunny

    Öl wird auch wieder teurer. Die Autos aus Bayern und Baden Würtemberg sind die ersten, die dann in den Autohäusern stehen bleiben, und das ist dann der Abzweig des anderen Wegs zur Wohlstandsgleichverteilung, wie sie im Grundgesetz steht.

     

    Ich hätte mir gewünscht, dass unsere Politiker mit den Konjunkturprogrammen etwas mehr wirtschaftliche Weitsicht bewiesen hätten, als funktionstüchtiges Volkseigentum zu verschrotten.

  • H
    hto

    Nee Herr Häußner, ein bedingungsloses MENSCHENRECHT auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit muß in die Köpfe und in die eindeutige / kompromisslose Kommunikation, OHNE "WER SOLL DAS BEZAHLEN?" und anderen konfusionierten Kommunikationsmüll, mit allen daraus menschenwürdig resultierenden Konsequenzen / Möglichkeiten!

     

    Ein wahrhaftiges Zusammenleben OHNE Wettbewerb, Steuern, usw. ist absolut möglich.

  • H
    hto

    In diesem Kommentar wird das schon überbeanspruchte Maß an zeitgeistlichem Zynismus mit noch mehr ignoranter Arroganz übertroffen - die gebildete Suppenkaspermentalität auf systemrationaler Sündenbocksuche läßt keinen Zweifel das das "Gewissen" (von allen denk- und handelbaren ...losigkeiten) gefälligst beruhigt wäre wenn der status quo ante, bzw. ein weiteres "Wirtschaftswunder" aus dem Hut gezaubert würde.

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Die Einkommenslosigkeit blockiert die Arbeit: ein bedingungsloses Grundeinkommen muss her!

     

    ---------------------------------------

     

    Die relative Armut in Deutschland ist nicht Gott gegeben sondern systembedingt: einerseits wird

    Erwerbsarbeit zunehmend einkommenslos und andererseits werden zunehmend leistungslose Einkommen in Form von Zinsen und Dividenden erzielt.

     

    Wahrnehmbar ist: Für andere arbeitsteilig tätig sein und ein gewisses Einkommen erzielen sind als zwei voneinander getrennt zu denkende Dinge zu erkennen. Aus dieser Sozialerkenntnis heraus ist ein neuer Gesellschaftsvertrag erforderlich.

     

    Was heißt das für die nachindustrielle Gesellschaft Deutschlands?

     

    Zurzeit sind von 100 Beschäftigten 2% in der Landwirtschaft, 6% im Baugewerbe, 20% in der Industrie und sage und schreiben 72% im Dienstleistungssektor beschäftigt.

     

    Viele Arbeiten im sozialkaritativen wie auch im kulturkreativen Bereich können mangels Einkommen überhaupt nicht ergriffen werden!

     

    Die dafür erforderliche Umverteilung des Volkseinkommens braucht ein Ausgabensteuersystem (höhere MwSt) und einen MwSt-Bonus als Vorform eines bedingungslosen Grundeinkommens.

     

    Alle bisherigen Sozialtransfers werden in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens bzw. solidarischen Bürgergeldes zusammengefasst.

     

    Soziale Gerechtigkeit als Fairness: Jeder nach seinen Fähigkeiten (durch ein System der Ausgabensteuer, das Initiative ermöglicht)und jedem nach seinen Grundbedürfnissen (durch ein bedingungsloses Grundeinkommen).

     

    Volkswirtschaftlich betrachtet führen eine höhere MwSt mit einem MwSt-Bonus pro BürgerIn zu einer bessern Einkommensverteilung in Deutschland. Mit einem bedingungslosem Grundeinkommen ausgestattet, können sich die Menschen an die Arbeit für eine nachhaltige, nachindustrielle Wissens- und Kulturgesellschaft machen.

     

    Ludwig Paul Häußner

    Universität Karlsruhe (TH) - IEP

    www.iep.uni-karlsruhe.de

  • L
    Leser

    "Warum kommen diejenigen, die in Vorpommern herumsitzen, jammern und Nazis wählen, nicht einfach nach Baden-Württemberg? "

    ...Frau Winkelmann !!! Mein Beileid für Ihre Armut !!!

  • W
    W.Wacker

    Offensichtlich wird bei diese Statistik und dem Lamentieren darüber das Hirn weitgehend ausgeschaltet.

     

    So wie hier "Armutsrisiko" berechnet wird, gilt:

     

    a) Verdoppelung aller Einkommen (bei gleicher Kaufkraft) ändert nichts (Halbierung auch nicht)

     

    b) Erhöhung des Hartz IV Satzes auf 440 oder auch 500 Euro erhöht die Armut (da Hartz IV-Empfänger "arm" bleiben, das Durchschnitseinkommen aber steigt)

     

    c) Senkung des Hartz IV Satzes reduziert die Armut (da das Durchschnittseinkommen sinkt)

     

    d) wenn "Reiche" aus Deutschland auswandern, sinkt die Armut (da das Durchschnittseinkommen sinkt)

     

    Da ist was ziemlich krank!

  • I
    Iro

    Und wieso ist die Konzentration auf die Export Industrie an der Armutsverteilung Schuld? Das wird nicht ganz erläutert. wäre aber das interessante.

    Außerdem ist das eine etwas gewagte These: Die Faktoren die den Süden begünstigen haben mit der Exportindustrie wenig zu tun, sondern sind grundsätzlicher Art: soziale Stabilität, gute Schulen und Universitäten, effizientere Verwaltung.