Kommentar Antizionismus bei der Linken: Eine Frage der Staatsraison
Gysi will die außenpolitische Selbstisolierung aufbrechen. Wenn die Linke Israel als Teil deutscher Staatsraison anerkennt, demonstriert sie, dass sie im Westen angekommen ist.
D ie Solidarität mit Israel muss Teil der deutschen Staatsraison sein. Dieser Satz mag für die meisten wie eine Selbstverständlichkeit klingen - bei der Linkspartei ist er es nicht. Denn was in der kapitalistischen Demokratie Staatsraison ist, war und ist vielen in dieser Partei egal. Und zum Nahostkonflikt gibt es in der Linkspartei ein ziemlich pluralistisches Durcheinander, in dem mehr als nur israelkritische Positionen Platz haben.
Gregor Gysi will das ändern: Die Linkspartei soll sich klipp und klar zur deutschen Staatsraison in Sachen Israel bekennen und sich endgültig vom Antizionismus verabschieden. Außerdem soll die Partei begreifen, dass man der israelischen Demokratie mit Imperialismusvorwürfen nicht gerecht wird. Das hat Gysi in einer Grundsatzrede zu 60 Jahren Israel gesagt - und hat damit Recht.
Denn linker Antizionismus, der das Existenzrecht Israels mit einem Fragezeichen versieht, ist weder moralisch vertretbar noch politisch brauchbar. Gerade, wer Kritik an der israelischen Besatzungspraxis übt, darf sich in dieser Frage keine Zweideutigkeit erlauben. Gleichzeitig hält Gysi in seinem Plädoyer für Israel ausreichend Distanz zum Philosemitismus der Antideutschen, für die jegliche Kritik an Israels Politik böse ist.
Vielleicht noch wichtiger als die Kritik der traditionslinken Gegnerschaft zu Israel ist indes das Bekenntnis zur Staatsraison an sich. Staatsraison ist ein Begriff, den Linke jenseits der Sozialdemokraten stets gemieden haben. Gysi deutet diesen Begriff nicht autoritär, sondern rational - doch die Richtung ist klar. Wenn die Linkspartei Israel als Teil deutscher Staatsraison anerkennt, demonstriert sie, dass sie endgültig im westlichen Wertesystem angekommen ist
Das ist die strategische Bedeutung dieser Rede - und ihre Botschaft über die eigene Partei hinaus. Die Linkspartei hat sich vor allem in der Außenpolitik auf einen Fundi-Pazifismus zurückgezogen, der sogar ein generelles Nein zu UN-Einsätzen einschließt. Solange das so ist, dürften alle rot-rot-grünen Planspiele Makulatur bleiben. Gysis Rede ist eine Lockerungsübung, ein Schritt, um die außenpolitische Selbstisolierung der Partei aufzubrechen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung