Kommentar Anti-Pornografie-Gesetz: Gummiparagraf in Indonesien
In Indonesien ist "Pornografie" ab jetzt verboten. Wo genau sie anfängt, kann das Parlament allerdings nicht definieren - eine prima Ausrede, um nach Lust und Laune zu entscheiden.
D er 30. Oktober 2008 wird in die Geschichte der jungen Demokratie Indonesiens eingehen: und zwar als Symbol für einen massiven Rückschritt. Gegen den intensiven Widerstand breiter Teile der Bevölkerung hat das Parlament ein absurdes Anti-Pornografie-Gesetz durchgeboxt.
Wie das Land mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung sein Verhältnis zu "Pornografie" redefiniert, berührt die Zivilgesellschaft in ihrem Kern. Folglich geht es um weit mehr als um die Frage, ob Bikinis an den Stränden der Touristeninsel Bali zukünftig noch erlaubt sein werden. Jegliche mediale Darstellung und/oder jegliches öffentliche Auftreten, das zu Obszönitäten und/oder sexueller Ausbeutung führt und/oder die moralischen Werte der Gemeinschaft verletzt, bedeute Pornografie, heißt es dort sinngemäß. Im Klartext: Pornografie lässt sich nicht definieren, doch wenn ich sie vor mir habe, erkenne ich sie. Bis zu zehn Jahren Gefängnis oder bis zu 5 Milliarden Rupiah Geldstrafe (rund 36.000 Euro) sieht das Gesetz als Strafmaß vor.
Mit einem solchen Gummiparagrafen lassen sich künftig Künstler wegen einer Akt-Darstellung juristisch verfolgen. Ebenso wie er sich prima dazu nutzen lässt, Vergewaltigungen zu legalisieren, indem die Schuld der aufreizenden Kleidung des Opfers zugeschrieben wird.
Wer solche Befürchtungen für überzogen hält, dem sei die Lektüre der Absätze empfohlen, welche die Öffentlichkeit zur Mithilfe im Kampf gegen die Amoralität aufrufen. Man solle, so heißt es, ein Auge auf die von Pornografie bedrohten Bevölkerungsteile werfen. Gewaltsame Übergriffe von islamistischen Gruppen dürften so weiter zunehmen.
Indonesien befindet sich im Wahlkampf - 2009 werden Parlament und Präsident neu gewählt. Schon jetzt versucht man, sich mögliche Partner unter den islamischen Parteien gewogen zu halten. Wie ideologisch die Debatte um das Gesetz aufgeladen war, zeigte sich schon daran, dass islamische Parteien forderten, das Gesetz möglichst noch vor Ende des Fastenmonats zu verabschieden, quasi als "Ramadan-Geschenk".
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