Kommentar Anschlag Italien: Kaum die Handschrift der Mafia
Mafiosi töten die, die ihnen in die Quere kommen – Berufschüler gehören nicht dazu. Dennoch reden Kenner der Materie von einer neuen „Strategie der Spannung“.
N ein, eigentlich kann es die Mafia nicht gewesen sein. Eigentlich kann sie die Bombe nicht gelegt haben, die in Brindisi ein 16-jähriges Mädchen das Leben kostete. Nicht, weil es den Bossen an der nötigen Grausamkeit mangelte, um unschuldige Opfer zu töten.
Das haben sie immer wieder getan – aber mit brutaler Präzision, zum Beispiel als sie in Palermo den elfjährigen Sohn eines Kronzeugen entführten, nach Monaten der Gefangenschaft ermordeten und in Salzsäure auflösten.
Eben diese Präzision fehlt bei dem Anschlag von Brindisi. Welchen Vorteil sollte die lokale Mafia davon haben, dass sie willkürlich eine Gruppe von Schülerinnen ins Visier nimmt? Mafiosi töten die, die ihnen in die Quere kommen: die, die sich weigern, Schutzgeld zu zahlen, auch Angehörige gegnerischer Clans.
ist Italien-Korrespondent der taz.
Und doch kommen die Spekulationen um eine mafiöse Handschrift bei dem Anschlag nicht von ungefähr. Denn von der ehernen Regel der „chirurgischen“ Natur der Mafiamorde gab es doch einige Ausnahmen. Im Jahr 1993 explodierten nachts Bomben vor Kirchen und Museen in Rom, Mailand und Florenz; zehn Menschen fielen ihnen zum Opfer. Jene Anschläge fielen in eine Zeit tiefer politischer Krise, in eine Zeit, in der Cosa Nostra mit terroristischer Taktik Zugeständnisse des Staats herbeibomben wollte.
In eine Zeit auch, in der Vertreter der Sicherheitsapparate in regem Kontakt, ja in Verhandlungen mit den Bossen standen, und beide Seiten waren daran interessiert, die Widerstände gegen einen Kompromiss zwischen Staat und Mafia aus dem Weg zu räumen.
So reden auch die Kenner der Materie von einer neuen „Strategie der Spannung“ als mögliche Erklärung. Wenn es die Mafia war, dann hat sie diesmal gewiss nicht allein agiert, sondern im Verein mit Hintermännern aus Politik und Staatsapparat.
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