Kommentar Ampel-Koalition: Banales Machtkalkül
Viele SPDler loben die Ampel. Doch wenn die käme, müssten sich die Wähler daran gewöhnen, dass sie künftig noch weniger wissen, welche Politik sie für ihre Stimme bekommen.
Das lustvolle Spekulieren diverser SPD-Politiker über eine Ampelkoalition im Jahr 2009 kommt nicht von ungefähr: Die Ampel ist die einzige wirkliche Machtoption, die die Sozialdemokraten noch haben. Wollen sie nicht weiter die undankbare Rolle übernehmen, Bundeskanzlerin Merkel als Juniorpartnerin in einer großen Koalition zu stützen, müssen sie das bisher kaum erprobte Experiment eines Dreierbündnisses mit FDP und Grünen ernsthaft prüfen. Ansonsten bleibt der SPD - nach den derzeitigen Umfragen - nur die Opposition.
An dieser Verengung ihrer machtpolitischen Perspektive im Bund ist die SPD selbst schuld, weil sie mit Rot-Rot-Grün die strategische Option kategorisch ausschließt, bei der es die meisten inhaltlichen Schnittmengen gibt. So werden Steinmeier und Müntefering im Wahlkampf zwangsläufig leere Versprechen machen. Sie werden Mindestlöhne propagieren, diese aber weder mit der Union noch mit der FDP umsetzen können. Sie werden für die Gesamtschule kämpfen, wohl wissend, dass sie letztlich mit Verteidigern des Gymnasiums koalieren - wenn überhaupt. Gewinner dieser Gemengelage sind die kleinen Parteien, die über den Kurs der Republik bestimmen könnten: Die gebauchpinselte Westerwelle-FDP sonnt sich in ihrer Wichtigkeit, achtet aber auf Abstand zur SPD, schließlich will sie enttäuschte Unionswähler locken.
Die Wähler müssen sich nun an eine Tatsache gewöhnen: Sie werden in Zukunft noch weniger wissen, welche Politik sie für ihre Stimme bekommen. Wer mit seiner Stimme die Grünen und Klimaschutz stärken will, läuft Gefahr, einer Jamaika-Koalition den Boden zu bereiten. Wer die FDP wegen ihrer Steuersenkungs-Versprechen wählt, wird diese in einem Ampelbündnis kaum verwirklicht sehen. Diesen Widerspruch hat SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier im Blick, wenn er die Bündnisdebatte als "sehr verfrüht" bezeichnet. Der Wähler soll lieber erst mal wählen, ohne zu viel über Inhalte nachzudenken. Denn klar ist auch: Zwar loben viele SPDler die Ampel. Was aber inhaltlich dabei rauskommen wird, traut sich keiner laut auszusprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pressekonferenz in Mar-a-Lago
Trump träumt vom „Golf von Amerika“
Ende der Faktenchecks bei Meta-Diensten
Nicht abhauen!
Forderungen von Donald Trump
5 Prozent Verteidigungsausgaben, 100 Prozent Ablehnung
Habeck-Werbung in München
Grüne Projektion
Verkehrsranking
Das sind die Stau-Städte
Hörsaalbesetzung in Hellersdorf
„Free Palestine“ mit dem Segen von oben