Kommentar Amoklauf: Tod eines Schülers
Der verhinderte Amoklauf ist eine Erfolgsgeschichte mit Fehler. Der prekäre Zustand des Jungen, der sich nach der Befragung umgebracht hat, hätte bemerkt werden müssen.
D er verhinderte Amoklauf in Köln bringt mal wieder die altgedienten Erklärungsmuster ins Spiel: Ego-Shooter, die Verrohung der Gesellschaft, brutale Verhältnisse an den Schulen. Bestimmt würde auch noch die Karte "nicht integrierte Migranten" gespielt, wenn die beiden Jungen nicht deutsche Gymnasiasten wären.
Gleichzeitig bemüht sich die Polizei, die Vereitelung der Tat als Erfolgsgeschichte zu erzählen. Alarmierte Schüler wurden von den Lehrern ernst genommen und die Schulleitung wusste, dass sich am 20. 11. das Massaker in Emsdetten jährt. Sie hat begriffen: Amoklaufen an der Schule ist eine globale Erzählung, zu deren Teil sich einzelne, offensichtlich schwer verstörte Jungen wie Rolf B. machen wollen. Weil sie Aufmerksamkeit fordern, weil sie sich rächen wollen, weil sie glauben, alle anderen Kommunikationsangebote haben versagt.
Die Erfolgsgeschichte hat nur einen Fehler. Der 17-Jährige hat sich vor eine Straßenbahn geworfen, zwanzig Minuten nachdem er von Schulleitung und Polizei befragt worden war. Die Schulleitung hatte den Jungen zuvor nicht mehr als Gefahrenquelle eingestuft und nach Hause geschickt. Die Eltern wurden erst nach dem Gespräch informiert, ein Psychologe war gar nicht erst hinzugezogen worden. So ernst man also die Warnungen der Mitschüler genommen hat, so wenig ernst nahm man Rolf B. Denn selbst wenn Polizei und Rektor vielleicht sogar zu Recht keine Tatabsicht erkennen konnten, ein Psychologe hätte den offenbar prekären Zustand des Jungen unter Umständen bemerkt. Einen Versuch zumindest wäre es wert gewesen.
Massaker finden an Schulen seit Jahren statt - sehr selten zwar, aber doch oft genug, um Schulleitung und Polizei einen Anlass zu bieten, das komplexe Thema auch auch als psychologisches Problem zu begreifen. Außerdem haben Schulen die Aufgabe, auch die problematischen Jugendlichen zu integrieren. Gewaltbereite, desorientierte Jungen einfach ihres Weges zu schicken, ist auf gar keinen Fall eine Lösung.
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