piwik no script img

Kommentar AlthausPragmatismus und Verantwortung

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Das Nachdenken über politische Konsequenzen von Althaus' Unfall mag persönlich schmerzen, ist aber notwendig. Das Recht auf Privatsphäre darf dabei nicht auf der Strecke bleiben.

Bild: taz

Bettina Gaus ist Buchautorin und politische Korrespondentin der taz.

Unerfüllbare moralische Forderungen sollte man besser gar nicht erst erheben - sonst verkommt die Diskussion über Moral zum Schrebergarten für weltfremde Träumer. Für den Betroffenen ist es gewiss schmerzlich, aber es ist dennoch unvermeidlich, dass sich Parteigremien, Wahlstrategen und Medien mit den möglichen politischen Konsequenzen des Skiunfalls von Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus befassen. Es gehört zu deren Aufgaben, sich Gedanken über einen möglichen Wechsel in einer Führungsposition zu machen und darauf vorzubereiten. Die Ansprüche von Politik und Pietät lassen sich nicht immer miteinander vereinbaren.

Das bedeutet allerdings nicht, dass alles im Zusammenhang mit dem Unfall die Öffentlichkeit etwas anginge. Auch Politiker haben ein Recht auf Privatsphäre und den Schutz ihrer Persönlichkeit. Es gibt ein berechtigtes Interesse an Informationen über den Gesundheitszustand eines Regierungschefs, wenn eine medizinische Diagnose politische Folgen nach sich zieht. Ausschließlich voyeuristische Bedürfnisse bedienen hingegen Bulletins über den Prozess des Aufwachens aus dem Koma, über den tagesaktuellen Grad räumlicher und zeitlicher Orientierung des Patienten und insbesondere alle Gerüchte über die Frage, wann und wie Althaus vom Tod seiner Unfallgegnerin erfahren hat. Dasselbe gilt für Spekulationen über eine mögliche juristische Schuld des Ministerpräsidenten. Darüber zu befinden ist Sache eines Gerichts.

Dieter Althaus ist nicht der einzige Prominente, dessen Persönlichkeitsrechte durch Berichterstattung verletzt worden sind. Wenn man bedenkt, wie selten sich Opfer solcher Übergriffe zur Wehr setzen, dann bekommt man eine Ahnung davon, wie groß die Furcht vor der realen oder vermeintlichen Macht der Medien mittlerweile ist. Das ist besorgniserregend. Übrigens auch für die Medien. Gerade wer Einschränkungen der Pressefreiheit ablehnt - wie eine Aufweichung des Quellenschutzes oder des Verbots, Journalisten abzuhören - muss ein Interesse daran haben, den Protagonisten solcher Einschränkungen keine Argumente zu liefern. Eine Neufassung berufsethischer Selbstverpflichtungen ist überfällig. BETTINA GAUS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

2 Kommentare

 / 
  • PA
    Peter A. Weber

    Berufsethik und Schutz der Privatsphäre von Politikern ist die eine Seite. Die andere Seite im Fall Althaus ist jedoch der aufkommende Verdacht, dass er nicht ganz so unschuldig am Tode seiner Unfallgegnerin war und grobe Fahrlässigkeit nicht auszuschliessen ist. Wer den Unfallort und wahrscheinlichen Unfallhergang ins Auge fasst, kommt an einem Verschulden von Herrn Althaus nicht vorbei. Wenn dann noch angebliche Amnäsie ins Spiel kommt, dann sind Zweifel erst recht berechtigt.

     

    Von Anfang an war mir suspekt, dass die Schuldfrage ausgeklammert wurde und wie selbstverständlich von der Unschuld des Herrn Ministerpräsidenten ausgegangen ist. Wenn ein einfacher Bürger nur in den kleinsten Verkehrsunfall verwickelt ist, wird er gezwungen, sich sofort der Schuldfrage zu stellen.

     

    Wie kommt es nur, dass ich das Gefühl nicht loswerde, dass hier mal wieder mit zweierlei Mass gemessen wird?

  • M
    michaelbolz

    Diese Neufassung der Berufsethik - ich sehe das ganz ähnlich - ist aber einer Auseinandersetzung unterworfen: Gesamtgesellschaftlich lässt sich, aus unterschiedlichsten Entwicklungen heraus, eine Privatisierung der öffentlich-politischen Sphäre ersehen. Die Privatsphäre, das Recht auf Privatsphäre, geht in der Öffentlichkeit auf, das Recht, daran teilhaben zu wollen bzw. zu müssen, entwickelt sich zu einem universellen Anspruch der Konsumgesellschaft.