Kommentar Altersarmut in Israel: Moralisch sind wir verpflichtet
Die Bundesrepublik sollte der Forderung nach weiteren Zahlungen an die bedürftigen Holocaust-Überlebenden in Israel nachkommen. Unsere Verantwortung verjährt nicht.
G eld kann nichts wieder gut machen - erst recht nicht, wenn es um den Holocaust geht, den Mord an sechs Millionen Menschen durch Deutsche und in deutschem Namen. Aber Geld kann die Lebensbedingungen der Überlebenden verbessern und ein Zeichen historischer Verantwortung setzen.
Und diese Verantwortung vergeht nicht. Deshalb war es richtig, dass die Entschädigung auch der Zwangsarbeiter selbst 55 Jahre nach dem Krieg noch erfolgte. Auch der Forderung von israelischer Seite nach weiteren Zahlungen an die bedürftigen Holocaust-Überlebenden in Israel sollte die Bundesrepublik nachkommen.
Sicherlich, etwa 60 Milliarden Euro haben die Deutschen seit 1952 schon an "Wiedergutmachung" gezahlt. Eine beträchtliche Summe. Viele der 250.000 Überlebenden in Israel aber erhielten - wegen bürokratisch enger Regeln und des späten Falls des Eisernen Vorhangs - nichts oder fast nichts. Etwa 90.000 Überlebende in Israel sind bitterarm; 10.000 erhalten von deutscher Seite nicht einmal die generell gezahlte Zusatzrente (die nur 270 Euro beträgt). Zumindest diesen Gruppen wäre mit zusätzlichem Geld zu helfen, auch wenn rechtlich dazu keine Pflicht besteht.
Die dafür nötigen Summen sind überschaubar - und der deutschen Öffentlichkeit mit etwas Engagement auch plausibel zu machen. Natürlich wird es schwerer, dies den heutigen Deutschen zu erklären, denn persönliche Schuld am Holocaust trägt aus Altersgründen so gut wie niemand mehr. Dass aber so viele Holocaust-Überlebende heute in Altersarmut leben, liegt nicht zuletzt an der Judenverfolgung - und das müsste zu vermitteln sein.
Die Position von Finanzminister Steinbrück, wonach die Ansprüche völkerrechtlich gesehen seit 1952 mit dem "Luxemburger Abkommen" abschließend geregelt wurden, ist gleichwohl nachvollziehbar. Moralisch aber trägt sie nicht. Deshalb wäre eine humanitäre Geste Deutschlands ohne weitere Rechtsansprüche angesagt. Sie sollte großzügig sein und nach diskreten Verhandlungen erfolgen - damit auf dem offenen politischen Parkett kein entwürdigendes Geschacher um ein wenig Hilfe für die letzten Überlebenden einsetzt.
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