Kommentar Ai Weiwei: Ohnmacht, Solidarität, Selbstachtung

In Peking weiß man wohl, wie dreist das eigene Vorgehen gegen Ai Weiwei ist. Der Protest in Europa ist ein Zeichen der Solidarität und eine Form, das eigene Gesicht zu wahren.

Chinas Führung trägt die volle Verantwortung für die Verschleppung des regimekritischen Künstlers Ai Weiwei und seine Gefangenschaft an einem bis heute unbekannten Ort. Sie wird sich kaum davon beeindrucken lassen, wenn in Deutschland oder anderswo Menschen Petitionen für die Freilassung des 53-Jährigen unterzeichnen oder für ihn - wie am vergangenen Wochenende - demonstrieren. Trotzdem sind solche Aktivitäten sinnvoll und wichtig. Denn von ihnen gehen Signale aus: Sie zeigen, dass die internationale Zivilgesellschaft nicht bereit ist, Unrecht und eklatante Rechtsverstöße stillschweigend zu akzeptieren. Wenn es nicht einmal bei einer berühmten Figur wie Ai einen Aufschrei gibt, wird Chinas Regime denken, sich solche Rechtsbrüche erst recht bei international weniger exponierten Personen leisten zu können.

Wenn Andeutungen des chinesischen Außenamtssprechers bei einer Pressekonferenz über die Vorwürfe gegen Ai aus dem offiziellen Protokoll gelöscht werden - und damit das indirekte Eingeständnis der Verschleppung! - , dann zeigt das: In Peking weiß man sehr wohl, wie dreist das eigene Vorgehen, wie schwach die eigene Position ist. Ein Staat, der sich vor einem Künstler und seinen Freunden im In- und Ausland nicht fürchten muss, reagiert anders. Umgekehrt sind solche Petitionen für die Verfolgten ein Zeichen der Solidarität. Sie erfahren, dass sie nicht allein sind, sondern Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen mit ihnen sind, auch wenn sie dies vielleicht nur mit großer Zeitverzögerung erfahren. Aber diese Zeichen stützen die Moral der Verfolgten.

Die Proteste sind jedoch auch wichtig für die Debatte in Deutschland und Europa. Sie stärken denjenigen den Rücken, die sich für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Das betrifft die Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen, aber auch diejenigen Politiker, die sich bei Besuchen in Peking für diese Themen einsetzen beziehungsweise einsetzen sollen. Sie müssen wissen, was von ihnen erwartet wird. Dies könnte sich dann eines Tage vielleicht doch zugunsten Verschleppter und Inhaftierter auswirken.

Wichtig sind die Proteste schließlich für das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung der Protestierenden. Denn die Appelle und Aktionen schwächen das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Mächtigen dieser Welt zumindest ab. Zugleich dienen sie der eigenen Positionierung. Sie sind eine Abgrenzung gegenüber denjenigen, die aus mangelnder Zivilcourage und gewachsener Abhängigkeit nicht protestieren. Das inzwischen politisch und finanziell mächtige China hat sich in den letzten Jahren in vielen Ländern einschließlich Deutschlands mit seinen Konfuzius-Instituten in die Chinawissenschaften und Sinologen-Szene eingekauft und dort viele Deutsche unter Vertrag genommen. Bei einer anderen Rechtskonstruktion könnten die Institute ein anregender Ort der Debatte über Chinas Politik sein. So aber herrscht dort peinliches Schweigen, das zeigt wie stark Pekings Einfluss in Deutschland schon ist.

Also weiter Proteste für Ai! Öffentlich bekennen, dass man nicht bereit ist, sich kaufen zu lassen, sondern die Dinge beim Namen nennen will! Die Proteste für Wei sind nämlich nicht zuletzt auch eine Form, das eigenen Gesicht zu wahren.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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