Kommentar Agent Orange in Vietnam: Unsichtbare Blindgänger
Heute noch werden in Vietnam Kinder mit Behinderungen geboren, weil ihre Großeltern Kontakt mit Agent Orange hatten. Sie werden stigmatisiert und kriegen keine Entschädigung.
E s gehört leider zu modernen Kriegen, dass sie auch dann noch Opfer fordern, wenn sie längst beendet sind. Etwa durch sogenannte Blindgänger, die noch Jahrzehnte später explodieren. Sei es, weil Bauarbeiter oder Bauern sie ausbuddeln, Kinder mit dem Kriegsschrott spielen oder Händler sie auseinandernehmen, um das Altmetall zu verkaufen. Solche Fälle sind in Vietnam auch 36 Jahre nach Kriegsende alltäglich. Rund 100.000 Menschen sind dort seitdem durch explodierende Munitionsreste getötet oder verletzt worden.
Als noch perfider als die vielen Blindgänger hat sich das dioxinhaltige und deshalb erbgutverändernde Entlaubungsmittel Agent Orange erwiesen. Es fordert noch heute Opfer in der dritten Generation, ohne dass diese einfach auf einen Blindgänger als Ursache verweisen können. Dabei sind die von Agent Orange ausgelösten Gendefekte wie unsichtbare Blindgänger im Körper des ersten, direkt mit dem Dioxin in Kontakt gekommenen Opfers.
Vielleicht hatte diese Person Glück und entwickelte selbst keinen Krebs oder andere schwere Krankheiten. Bei den Kindern kann es schon anders sein. Sie können mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen geboren werden. Doch besonders schwer nachweisbar ist die Ursache für die Enkel, wenn ihre Eltern gesund geboren wurden, obwohl die Großeltern mit Agent Orange Kontakt hatten.
ist Auslandsredakteur der taz mit Schwerpunkt Asien.
Denn trotzdem können die Enkel schwere Behinderungen haben. Dann haben sie in Vietnam wegen des schwierigen Nachweises der wahren Ursachen große Probleme, die für Agent-Orange-Opfer gedachte finanzielle Hilfe zu erhalten. Und sie dürften noch stärker unter der in Vietnam leider nicht unüblichen Stigmatisierung Behinderter leiden, wenn die Verbindung zum längst vergangenen Krieg nicht offensichtlich ist.
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