Kommentar Afghanistan-Einsatz: Ende einer Ersatzhandlung
Es war klug, die Beteiligung an der Operation Enduring Freedom zu verlängern. Die Debatte über den Militäreinsatz war überzogen.
Katharina Koufen ist seit 1999 taz-Redakteurin und arbeitet im Parlamentsbüro der taz.
Zu was für einer Feuerprobe wurde die Abstimmung über die "Operation Enduring Freedom" (OEF) in Afghanistan und am Horn von Afrika in den letzten Monaten nicht stilisiert. Vor allem der Afghanistan-Einsatz werde die große Koalition im Herbst zerreißen, prophezeiten Beobachter, ja, er könnte die Kanzlerin gar den Kopf kosten.
Nichts von alldem ist passiert. Die Debatte im Bundestag verlief unspektakulär, die Mehrheit der Abgeordneten stimmte für die Verlängerung, die Medien interessierten sich mehr für Münteferings Rücktritt und Thierses Kohl-Beleidigung. Das zeigt: Der Streit um den Bundeswehr-Einsatz diente vielen Politikern als Ersatzhandlung.
In vielen vorangegangenen Debatten ging es weit weniger um das Schicksal Afghanistans als um das Befinden der eigenen Partei. Vor allem in der SPD nutzten viele Genossen den Auslandseinsatz als Ventil für ihren Unmut über die Koalition. Die Sehnsucht wuchs, wieder als sozial gerechte, linke Partei wahrgenommen zu werden. Dazu gehörte auch der Wunsch, Friedenspartei zu sein - aber nur unter "ferner liefen". Doch bereits der SPD-Parteitag in Hamburg erfüllte vielen Genossen den Wunsch nach einem Linksruck.
Auch in den anderen Parteien gewann der OEF-Einsatz eine Symbolkraft, die sich durch Fakten nicht rechtfertigen lässt. Tatsächlich ist Deutschland seit Jahren nur pro forma an dem Einsatz beteiligt. Und doch tun sowohl Gegner als auch Befürworter so, als entscheide sich die Freiheit des Hindukusch im Verteidigungsministerium auf der Bonner Hardthöhe. Die Linke hetzt gegen eine "Beteiligung am Krieg", die Union hält die Fahne der Amerika-Treue hoch - ganz so, als würde Washington mindestens seine Botschaft in Berlin schließen, stimmte der Bundestag mit Nein.
Dass die Beteiligung an OEF verlängert wurde, ist klug: Ein Ausstieg wäre vermutlich mit Gegenleistungen an die Verbündeten zu bezahlen gewesen. Was genau das sein könnte, muss klar sein, bevor Deutschland sich zurückzieht. Solange das nicht der Fall ist, dürfte die Pro-forma-Beteiligung am Anti-Terror-Einsatz ein kleineres Übel sein als etwa das Entsenden von deutschen Isaf-Soldaten nach Süd-Afghanistan.
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