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Kommentar Afghanistan-EinsatzKriegsrhetorik mit Widersprüchen

Kommentar von Christian Semler

Jetzt also erlaubt Verteidigungsminister zu Guttenberg, "dass der Begriff ,Krieg' in der Umgangssprache genutzt werden darf, damit er verstanden wird". Danke, Herr Minister, für diese Verständnishilfe!

G ewiss, völkerrechtlich gesprochen handelt es sich beim Afghanistaneinsatz der Bundeswehr um einen "internationalen bewaffneten Konflikt". Aber diese juristische Definition konnte im deutschen alltäglichen Sprachgebrauch keinen Augenblick das hässliche Wort "Krieg" verdrängen, obwohl es regierungsoffiziell lange mit einem Tabu belegt war. Jetzt, nach dem Tod dreier und der Verletzung weiterer Soldaten am letzten Freitag, der die Tötung von sechs afghanischen Soldaten durch eine deutsche Einheit folgte - jetzt also erlaubt Verteidigungsminister zu Guttenberg, "dass der Begriff ,Krieg' in der Umgangssprache genutzt werden darf, damit er verstanden wird". Vielen Dank auch, Herr Minister, für diese Verständnishilfe!

Merkwürdig ist allerdings, dass der Angriff der Taliban vom Freitag auf die deutschen Soldaten von der Bundeskanzlerin als "verabscheuungswürdig und hinterhältig" bezeichnet wurde. Wurden dabei von den Taliban Kriegsverbrechen begangen? Davon war nirgendwo die Rede. Einerseits haben wir also eine kriegerische Auseinandersetzung, aber andererseits sind militärische Hinterhalte, die der Kriegsgegner legt, für deutsche Regierungspolitiker keinesfalls zu rechtfertigen. Das gilt natürlich nicht für die laufende Tötung afghanischer Zivilisten durch die Interventionstruppen. Wir entschuldigen uns und geloben "genaue Untersuchung".

Schon vor der Guttenbergschen Konzession an die Umgangssprache hatte das deutsche Verteidigungsministerium nie Bedenken, eine Kriegsrhetorik anzustimmen. Zwanglos sprach es von "gefallenen" deutschen Soldaten, pries den Tod der jungen Leute als "Dienst für das Vaterland" und missbrauchte die Trauer der Hinterbliebenen für die Zwecke militaristischer Propaganda. Aber diese Sprachregelungen und symbolischen Aktionen gehen ins Leere. Die einfache Frage, wofür deutsche Soldaten eigentlich "am Hindukusch" kämpfen und auch sterben müssen, bleibt unbeantwortet. Denn das offizielle Ziel, die "Stabilisierung" des Landes, das gleichzeitig die Voraussetzung für den Abzug der westlichen Truppen sein soll, wurde nie klar bestimmt. Geht es um Afghanistan, um die Taliban oder um "die Region"? Welche? Was sind die Kriterien für die Stabilität? Und in welchem Zeitraum soll sie erreicht werden? Dies zu wissen, darauf haben nicht zuletzt die deutschen Soldaten Anspruch.

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10 Kommentare

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  • E
    end.the.occupation

    Was hat der ehemalige Vorsitzende der KPD/AO zu der deutschen Beteiligung an dem imperialistischen Ordnungskrieg in Afghanistan 2010 zu sagen:

     

    >> Geht es um Afghanistan, um die Taliban oder um "die Region"? Welche? Was sind die Kriterien für die Stabilität? Und in welchem Zeitraum soll sie erreicht werden?

     

    Aha. Man lernt: Eigentlich ist alles gut - nur ein paar passende "Erklärungen" - die müssten schon drin sein.

    Oder anders gesagt: Eigentlich gibt es in Afghanistan nur ein kleines Marketingproblem - nur ein paar 'Widersprüche' - so zumindestens der ehemalige Maoist im Ruhestand.

     

    Als Tiger abgesprungen - als Bettvorleger gelandet.

    Eine weitere Illustration des Versagens der 68er.

  • FK
    Florian Kren

    Natuerlich wurden von den Taliban-Kaempfern Kriegsverbrechen begangen.

    Einerseits ist es Kriegsverbrechen, wenn eine militaerische Organisation ihre Kaempfer nicht als solche kennzeichnet, z.b. durch Kleridung oder Zeichen an dieser, oder nicht auf eine andere Art sicher stellt, dass der Gegner Zivilisten und Soldaten unterscheiden kann.

     

    Andererseits ist es Kriegsverbrechen, Zivilisten als Schutzschild zu missbrauchen. Die Taliban haben die Bundeswehrsoldaten in einem bewohnten Gebiet angegriffen, ansonsten haetten die Amiflieger ja auch Bomben eingesetzt)

     

    Die Taliban begehen eigentlich bei der Mehrzahl ihrer Angriffe Kriegsverbrechen, aber das will man bei der Taz wohl nicht wahrhaben.

  • V
    vantast

    Gute Gelegenheit, den veralteten "Verteidigungsminister" wieder in den ehrlicheren "Kriegsminister" umzuwandeln.

  • V
    vic

    Von friedenssichernden Maßnahmen über nichtinternationaler bewaffneter Konflikt zu umgangssprachlichem Krieg. Unterm Strich alles dasselbe dumme Geschwätz.

    Um den Master of Desaster O.Klein rauszupauken, ist der Begriff Krieg vorübergehend hilfreich - ansonsten aber völkerrechtlich eher hinderlich. Es bleibt so schwammig wie es immer war.

    Tatsache bleibt auch; diese Region wurde angegriffen um US-Militärstützpunkte zu etablieren, um Wege für Pipelines durch AFG zu sichern, um Öl in Irak zu fördern und ungestört abzutransportieren, und um Nachschubwege in Richtug Iran zu gewährleisten.

    Was hat die BRD mit all dem zu tun?

  • CW
    Christine Weil

    Danke,Herr Semmler.

     

    Ein Lichtblick in der kriegsbereiten deutschen Presselandschaft.

    Leider ignoriert auch die taz Enthüllungen über das Morden unserer Verbündeten:

    http://www.guardian.co.uk/world/2010/apr/05/wikileaks-us-army-iraq-attack

     

    Zum Zeitrahmen des Afghanistan-Krieges:

    “We have strategic interests in South Asia that should not be measured in terms of finite times,” said Gen. James L. Jones, the president’s national security adviser, speaking on CNN’s “State of the Union.” “We’re going to be in the region for a long time.”

    http://www.nytimes.com/2009/12/07/world/asia/07afghan.html

  • WB
    Wolfgang Bosswick

    "Umgangssprachlich Krieg"? Wenn bei unseren verantwortlichen Gestalten das Wort "Krieg" bereits zur Umgangssprache gehört, dann ist Feuer auf dem Dach.

    Die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan ist ein Verrat am Vaterland und seinen Bundeswehrsoldaten.

  • TF
    Thomas Fluhr

    Werden die einzelnen Soldaten nach Afghanistan abkommandiert? oder melden diese sich selbst zum Einsatz?

    Wenn ja, was ist deren Antrieb, geht es um 'Befriedung', dafür werden Soldaten nicht ausgebildet, das könnten andere besser würde man ihnen das gleiche Geld zur Verfügung stellen.

    Geht es um echte Einsätze und Taten, dafür sind die Soldaten ausgebildet, wenn aber echt geschossen wird, gehört es zum Spiel, dass Einige getroffen werden und das der 'Feind' zurück schießt und ebenfalls trifft. Also wozu die Verwunderung, wenn es so stattfindet.

    Oder geht es vielleicht um den schönen Soldzuschlag? Hohes Risiko, höhere Gewinnchancen, also Eigeninteresse, dann muss jeder seine eigene Rechnung bezahlen.

    Sollten sie abkommandiert werden, tut es mir leid, aber auch das gehört zum Soldat sein.

  • JS
    Johan Schreuder

    HALLOOOO, Augen auf, folgendes ist zu lesen in Wikipedia

     

    Der Vertrag über die Pipeline, über die bereits mit dem gestürzten Taliban-Regime verhandelt worden war, wurde am 27. Dezember 2002 von den Staatschefs Turkmenistans, Afghanistans and Pakistans unterzeichnet. Der Vertragsabschluss wurde durch die US-Invasion in Afghanistan im Jahr zuvor ermöglicht. Die afghanische Regierung soll demnach acht Prozent der Einnahmen erhalten; die Betreiber versprechen sich 12.000 neue Arbeitsplätze in dem wirtschaftlich darniederliegenden, vom Krieg verwüsteten Land. Gleichwohl ist die Umsetzung des Bauvorhabens derzeit weitestgehend auf Eis gelegt: Die Arbeiten am durch Turkmenistan verlaufenden Abschnitt sollten zwar 2006 aufgenommen werden, die Durchführung des gesamten Projekts steht allerdings zur Disposition, weil der südliche Abschnitt der Pipeline durch Gebiete verlaufen würde, die nach wie vor de facto unter Kontrolle der Taliban und der Terrororganisation Al-Qaida sind.

     

    Hierfür sterben deutsche Soldaten und afghanische Zivilisten

  • H
    Haanslinke

    Es ist einfach nur zum Kotzen, während in Afghanistan Menschen sterben (und dabei ist es völlig egal, ob es sich um deutsche Soldaten, afghanische Soldaten, Zivilisten oder sonst wen handelt) wird hierzulande mit Worten jongliert um einen militärischen Einsatz zu rechtfertigen, bei dem eben diese Menschen ums Leben kommen. Deutsche Soldaten haben in diesem Land nicht verloren, außer z. B. um Brunnen zu bauen oder Minen zu räumen. Nun sprechen also auch die Regierungsparteien schon von Krieg - und sei es auch nur um verstanden zu werden: Krieg ist Krieg! Bald werden die ersten Wahlplakate von CDU und FDP in NRW hängen, auf denen steht "Raus aus Afghanistan". Dumm nur, daß bei der CDU klein darunter stehen wird "sobald wir gewonnen haben" und bei der FDP "sobald unsere Wähler hier genug Umsatz gemacht haben"!

  • H
    hto

    Das einzige was in der Rhetorik um Afghanistan stabilisiert wird, ist der Profit der Rüstungsindustrie, der Profit der gewohnten Überproduktion von konfusionierendem Kommunikationsmüll, und die damit verbundene Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche, wo Widersprüche zum "gesunden" Konkurrenzdenken der multischizophrenen Gemeinschaft im "freiheitlichen" Wettbewerb gehören.