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Kommentar Acta im EU-ParlamentUnd es lebt doch

Ruth Reichstein
Kommentar von Ruth Reichstein

Die Acta-Abstimmung im EU-Parlament hat vor allem eines gezeigt: Dass es sich lohnt, die Abgeordneten daran zu erinnern, dass sie den Wählern verpflichtet sind.

B eim Bundesverfassungsgericht sind mehrere Klagen gegen die verschiedenen europäischen Rettungsschirme und den Fiskalpakt eingegangen.

Die Kläger beanstanden, dass das gesamte Management der europäischen Finanzkrise ohne Mitsprache der Bürger und teilweise auch an den nationalen Parlamenten vorbei entschieden wird. Wieder einmal erscheint die Europäische Union als ein großes undemokratische Monster, das ohne jede Kontrolle vor sich hin reguliert.

Die Entscheidung des EU-Parlaments zu Acta zeigt, dass es auch anders geht: Nicht zuletzt wegen der massiven Proteste in mehreren europäischen Ländern wollen die EU-Abgeordneten das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen ablehnen und es damit endgültig begraben. Seit dem Vertrag von Lissabon müssen die EU-Abgeordneten allen internationalen Abkommen der EU zustimmen. Sonst treten diese nicht in Kraft.

Bild: privat
Ruth Reichstein

ist EU-Korrespondentin der taz in Brüssel.

Ein Einsatz bei dem bisher als so schwach verschrienen Parlament kann sich also durchaus lohnen. Der Streit über Acta hat eine europäische Öffentlichkeit geschaffen, die bisher praktisch undenkbar war. Kritiker aus mehreren Staaten haben sich zu Aktionen zusammengeschlossen. Sie haben nicht nur vor dem Europäischen Parlament in Straßburg demonstriert.

Sie haben auch Hunderte E-Mails an EU-Abgeordnete geschickt und diese so für das Thema sensibilisiert. Acta stand plötzlich im Zentrum des öffentlichen Interesses und damit ganz oben auf der politischen Agenda.

Das Europäische Parlament ist die einzige EU-Institution, die direkt von den Bürgern gewählt wird, und diesen Auftrag scheint die Mehrheit der Abgeordneten diesmal tatsächlich ernst zu nehmen. Auch beim Streit über die Grenzkontrollen im Schengen-Raum haben die Entsandten der EU-Mitgliedstaaten kürzlich einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihre Zustimmung zu willkürlichen, allein national entschiedenen Grenzschließungen vorerst verweigert.

Da, wo das EU-Parlament etwas zu sagen hat – und dies sind nicht wenige Politikfelder –, ist es also effektiv, die Abgeordneten an ihre Verantwortung den Wählern gegenüber zu erinnern. Ausgerechnet bei der Finanzpolitik hat dies allerdings nicht viel Sinn. Denn hier haben die Abgeordneten noch immer keine Mitsprache. Die EU-Regierungen können – so steht es bislang geschrieben – weitgehend allein entscheiden.

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Ruth Reichstein
Auslandskorrespondentin EU
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1 Kommentar

 / 
  • PH
    Patrick H.

    Schade, dass auch in diesem Kommentar vor allem in der Einleitung wieder die Rollen von EU-Kommission, Parlament und vor allem die Entscheidungen der europäischen Regierungen nicht klar getrennt werden und das Bild vom „ominösen, nicht näher definierten ‚Europa‘“ gezeichnet wird.

     

    Nach meiner persönlichen Beobachtung und Meinung ist das EU-Parlament bereits seit langem in Bezug auf seine sachliche Arbeit, nicht vorhandene Koalitionszwänge, Interessensvertretung aber vor allem auch vom Selbstverständnis der einzelnen Abgeordneten das mit Abstand demokratisch vorbildlichste Parlament, das ich kenne – und das über eine Vielzahl von Sprachbarrieren hinweg.

     

    Aber wie kann es von den Menschen als Parlament wahrgenommen werden, wenn die Berichterstattung sich selten die Mühe macht, zwischen den einzelnen europäischen Institutionen zu differenzieren?

     

    Wenn man die Faustregel formuliert, dass die schlechteste Europapolitik von den national gewählten Regierungen zu verantworten ist, liegt man sicherlich in einer großen Zahl von Fällen nicht falsch…