Kommentar Achtjahresabitur: Freiheit für die Studienräte
Befreiung aus dem Korsett der Paukschule: Die Kultusminister bremsen noch - aber die Reform des Gymnasiums mitsamt Achtjahresabitur wird kommen.
D ie Kultusminister machten es wie immer. Gewohnt gelassen palaverten sie über das, worüber sich alle anderen aufregen: das Achtjahresabitur. Die ganze Nation bebt wegen der armen Gymnasiasten, die im Turbogymnasium den gleichen Stoff wie ihre Altersgenossen nun in kürzerer Zeit durchpauken müssen. Doch die Kultusminister mauern: Was schert uns das Wehgeschrei von Reinhold Beckmann, diversen Ministerpräsidenten und der Kanzlerin? Wir haben die Kulturhoheit, als Institution sind wir älter das Grundgesetz!
Doch diesmal trügt der Schein. Denn genauer betrachtet, hat die Kultusministerkonferenz gerade die Reform des Gymnasiums eingeleitet. Die älteste deutsche Schulform wird sich verändern.
Zwar halten die Länder weiter daran fest, dass es 265 Wochenstunden bis zum Abi sein müssen, damit sie sich die Hochschulreife gegenseitig anerkennen. Unter dieser Festlegung aber bekommen die gymnasialen Studienräte alles Mögliche an Freiheiten. Die Kultusminister haben gestern praktisch die Lizenz zum neuen Lernen erteilt.
Durch die neuen Pläne wird das Gymnasium aus dem Korsett der Pauk- und Lehrplanschule befreit. Damit wird es den Gymnasien ermöglicht, Wiederholungs- und Förderstunden für Langsamlerner einzurichten. Man muss sich das mal vorstellen: Plötzlich stehen Studienprojekte ganz hoch im Kurs, in mancher Kollegstufe gibt es sogar altersgemischte Kurse. Andere Schulen machen das längst. Doch für viele Studienräte humanistischer Prägung war das bislang ein Tabu, ein zersetzender reformpädagogischer Murks.
Inzwischen geht es sogar an den Kern des Gymnasiums: seinen Zwang zur Auslese. Bisher galt die Regel: Wer nicht mithalten kann, der bleibt sitzen oder wird abgeschult. Nun erlauben manche Minister den Gymnasiasten, die in einer Turboklasse normalerweise durchfallen würden, einfach weiterzumachen. Das bedeutet natürlich nicht, dass der alte Studienrats-Dünkel "Bei mir kommt nicht jeder mit" schon überwunden ist. Aber er ist angeknackst. Diesen Fortschritt kann man gar nicht hoch genug schätzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken