Kommentar Abwertung von Frauenberufen: Jenseits des Verbalfeminismus
Entgegen aller Rede von den jungen Männern als die neuen Verlierer: Es sind die weiblichen Azubis im Dienstleistungssektor, die unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen leiden.
Ines Kappert ist Redakteurin im taz-Meinungsressort.
Während all der erregten Diskussionen um die selbstbewusste und neuerdings gut ausgebildete Frau und den tastend umdenkenden Mann scheint bei den Jugendlichen alles ruhig und vor allem alles beim Alten zu sein. So bestätigt der diesjährige Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes in etwa die Ergebnisse der letzten Jahre: Die schlechtesten Ausbildungsverhältnisse finden sich in der Hotelbranche, also dort, wo 72 Prozent Frauen arbeiten. Gefolgt wird der Spitzenplatz in Sachen beruflicher Perspektivlosigkeit von den Lehrberufen in "anderen Dienstleistungen". 94 Prozent der hier Arbeitenden sind Frauen.
Unzufrieden sind die jungen Frauen, weil ihnen ihre Lehre so gut wie keine Inhalte vermittelt, dafür die Arbeitsintensität besonders hoch ist. Dass zum "Fordern ohne Fördern" ein kleines Gehalt und kaum Aufstiegsperspektiven gehören, stabilisiert die seelische Gesamtlage auch nicht. Ihr Gegenstück sind die Lehrberufe in der Metall-, Elektro- und der IT-Branche. Hier fühlen sich die Lehrlinge gefördert und zeigen sich zufrieden. Rund 97 Prozent von ihnen sind junge Männer. Damit zeigt die Studie, dass die Verhältnisse weit hinter dem Verbalfeminismus der Medien und auch der vielfach fortschrittlichen Rechtssprechung zurückbleiben. Der Alarmismus, Jungen und Männer zählten zu den aktuellen Verlierern unsere Gesellschaft, erweist sich einmal mehr als haltlos.
Bis heute gilt: Die Abwertung von Frauenberufen hat eine lange und bis heute fortlebende Tradition. Erst die geschlechtliche Durchmischung führt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Das hat nichts mit Biologie, sondern mit der gewerkschaftlichen und politischen Organisation zu tun, ebenso wie mit der kollektiven Wahrnehmung, wie wertvoll eine Arbeit ist.
Männer haben sich bislang schlicht besser politisch organisiert und damit durchgesetzt, dass ihre Bedürfnisse als gesellschaftlich relevant erachtet werden. Davon profitieren alle Geschlechtsgenossen, auch wenn sie selbst mit Politik gar nichts am Hut haben und nur Autos schrauben wollen.
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