piwik no script img

Kommentar AKW-LaufzeitverlängerungRöttgens Niederlage

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Die Atomkonzerne haben sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Der Umweltminister steht mit leeren Händen da. Entscheidend ist nun der Druck der Anti-Atom-Bewegung.

D ass die Regierung den Stromkonzernen ihr versprochenes Milliardengeschenk tatsächlich überreicht, war zwar zu erwarten. Doch dass die Konzerne sich dabei auf ganzer Linie durchsetzen, ist nach dem langen regierungsinternen Streit schon überraschend. Und die Dreistigkeit, mit der die Regierung den Kniefall vor der Atomlobby als "Revolution" und "anspruchsvollstes Konzept der Welt" verkauft, ist schwer erträglich.

Atomkraft senkt den Strompreis, Atomkraft rettet das Klima, Atomkraft ist eine Brücke für Erneuerbare: Offenbar denken die Atomfreunde von Union und FDP, man müsse längst widerlegte Argumente nur oft genug wiederholen, damit sie irgendwann wahr werden - oder zuminidest von einem Teil der Menschen dafür gehalten werden. Die Art und Weise, wie die Regierung die Fakten zurechtbiegt und die Realität ignoriert, grenzt an eine Beleidigung des gesunden Menschenverstands.

Vor allem für Norbert Röttgen ist die Entscheidung eine bittere Niederlage. Der Umweltminister, der als klarer Befürworter von Atomkraft ins Amt kam, hat inzwischen verstanden, dass längere Laufzeiten weder dem Klima noch der Volkswirtschaft nutzen, sondern vielmehr den Umstieg auf erneuerbare Energien und zu mehr Effizienz blockieren. Doch er musste erfahren, dass gute Argumente gegen 100 Milliarden Zusatzgewinn wenig ausrichten können.

Bild: taz

Malte Kreutzfeldt ist Leiter des Öko- und Wirtschaftsressorts der taz.

Nun steht er mit leeren Händen da: Statt dem von ihm propagierten Höchstwert von acht Jahren Laufzeitverlängerung sind zwölf herausgekommen - die wegen der Art der Berechnung in der Realitiät eher 15 bis 20 bedeuten werden. Nicht mal ein Bauernopfer war ihm vergönnt: Weil konkrete Sicherheitsauflagen fehlen, wird wohl auch von den ältesten Kraftwerke zunächst kein einziges vom Netz gehen - obwohl zwei davon wegen Pannen seit zwei Jahren still stehen und acht nicht gegen Flugzeuge geschützt sind.

Ob Schwarz-Gelb mit dieser Dreistigkeit durchkommt, hängt zunächst am Bundesverfassungsgericht. Alternativ kann eine andere Bundesregierung den Ausstiegs-Ausstieg wieder kippen. Entscheidend bleibt dabei aber der gesellschaftliche Druck. Nur wenn die Anti-Atom-Bewegung ihn aufrecht erhält, werden künftige Regierungen sich der massiven Atomlobby widersetzen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • RF
    Rosemarie Finke-Thiele

    Klare Worte von Malte Kreutzfeldt!

    Und nicht nur der Umweltminister hat eine Niederlage erlitten - sondern die gesamte schwarz- gelbe Regierung.

    Die Quittung folgt bei der nächsten Bundestagswahl.

    Keine Regierung kann sich auf Dauer mit Klieentenpolitik und schon gar nicht gegen den Willen der Mehrheit in der Bevölkerung an der Macht halten.

    DAS sollte Frau Dr. Merkel doch wissen ...

  • WG
    Werner G.

    Dieser Kniefall vor der Atomlobby fand im Januar

    1999, unmittelbar nach der Wahl des 'Genossen der

    Bosse' zum Bundeskanzler statt, als die "Grünen",

    um ihre Pöstchen nicht zu gefährden, vor Schröder und

    seinen Kumpels in den Konzernzentralen in die

    besagten Knie gegangen sind!

    Jeder halbwegs Denkfähige hat damals gewusst,

    dass dieses ganze Ausstiegs- und Konsensgelaber

    sofort zu Makulatur wird, wenn es eine schwarz-

    gelbe Mehrheit gibt.

  • A
    Amos

    Solch eine volksfeindliche Regierung hatten wir noch nie; alles fürs Kapital. Das Stimmvieh zählt nicht mehr. Koalitionen werden geschlossen, die kaum jemand haben will. Das liegt aber auch am Wähler-, der sich vor krassen Veränderungen fürchtet und sie aber doch durch seine Gefühlsduselei nicht verhindern kann. Das Gefahrenpotential, was sich aus den 8- nicht gegen Flugzeugabstürze gefeiten AKWs ergibt, wird einfach ignoriert: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf".

    Ob man sich darauf verlassen kann? Den schwanzwedelnden Hündchen der Atomlobby ist das egal-, unseren Enkeln nicht. Der Tag wird kommen...

  • WM
    Walter Manzey

    Wir sollten uns über dieses Horrorstück deutscher Politik nicht zu sehr aufregen, auch wenn es schwer fällt. Vermutlich wird es nur eine Saison aufgeführt. Entweder das Verfassungsgericht kippt diese "Revolution" mit rechtlichen Mitteln, oder das besorgt die nächste Regierung. Unausweichlich ist aber - und das wird dann wirklich grauenvoll - Murphys Gesetzt: Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen. Fast 25 Jahre nach Tschernobyl und 31 Jahre nach Harrisburg, ganz zu schweigen von Hunderten unspektakulärer Unfälle bis in die Gegenwart, ist der nächste Gau - irgendwo in der Atomwelt - sowieso wieder reif , allen Versprechungen der "Sicherheits-Experten" zum Trotz. Die notwendige Müll-Entsorgung in nicht vorhandene sogenannte "Endlager", die es mit Jahrtausende langer Garantie so nie geben kann, wird ebenfalls dazu beitragen, dieses von Atom-Lobbyisten finanziertes Trauerspiel hoffentlich bald zu beenden.

  • BJ
    Banana Joe

    Ein Kommentar, den man so stehen lassen kann.

     

    Ergänzung: zum Kommentar passt thematisch die Umfrage zu Stuttgart 21 (rechts neben diesem Kommentar)...

     

    ...wie war das noch gleich mit "Vertragsbindung"?!?

     

    Während man bei Stuttgart 21 damit die Unmöglichkeit des Ausstiegs rechfertig, waren die Verträge mit den Energiekonzernen beim Atomausstieg kein Hinderungsgrund!

     

    Pippi Langstrumpf würde dazu sagen: "...ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt..."

  • SM
    Simon M.

    Der schlechteste Scherz an der Sache ist ja, dass Röttgen den "Kompromiss" jetzt auch noch als großen Erfolg verkauft. Er ist viel charakterloser als ich dachte. Any way the wind blows…

  • G
    guapito

    Röttgen steht nicht mit leeren Händen da.

    Er wird seine Belohnung von den Geldhaien schon bekommen.

    Warten wir ab was sein Folgejob sein wird.

  • M
    medienmuffel

    Warum ist Atomenergie in den meisten EU-Ländern eine Zukunfts- und Schlüsseltechnologie? Wollen wir wirklich weg von Forschung, ...Auto, ...Glühbirne,

    ...Zukunft. Welchen Anteil haben die Medien an den Kampagnen für Windräder (gegen Vögel und Wild) und Solartechnik, die auf Dächern nicht gelöscht werden kann und nie den Bedarf im Winter decken wird. Alle Diskussion ist weit weg von der Realität und führt uns wieder wie Ende der 90er an Europas Ende, weg vom in kurzer Frist und trotz Krise erreichten Platz 1 - mit CDU und FDP! Da gibt es Patente auf Thermoenergie und ...

  • V
    vsteuer

    als Ph/Ma-Lehrer aus einer Kohleregion sollten sich alle mal nicht nur von Gefühlen, sondern Zahlen und Verstand leiten lassen. Mit dem Beschluss keine neuen AKWs mehr zu bauen, hat Deutschland schon den intern. Trend, Forschung und Mitsprache blockiert.

    Der neue Beschluss ist einerseits unter dem Blickwinkel von Wirtschaftskrise, Grundlast und Energie der Zukunft zu sehen. Das sich in Deutschland Konzerne über Abwrackprämien od. eben längere Laufzeiten freuen ist das Wesen von Marktwirtschft und nicht Kommunismus. Wenn das Geld für die Erforschung der richtigen E-Quellen genutzt würde, wäre das gut - aber nicht für temporäre Energiequellen allein! Das Hauptproblem, das von sog. Spezialisten nicht genannt wird, in der E-Wirtschaft aber bekannt ist: Dank des Wind- u. Solarstroms ist die Energieerzeugung in deut. Kraftwerken z.T. gestiegen. In den Sommer-Sonnen-Zeiten müssen KWs abschalten, weil noch sinnloser Strom in die Netze kommt. An kalten Abenden ruht alle Last auf den Kraftwerken. Wie beim Auto führt ständiges Bremsen und Anfahren zu erheblich mehr Verbrauch. Den KWs freuts und der Normalo weiß es nicht. Also muss der Staat ran: Speichertechnik muss die Spitzen abfangen, so könnten >30% ! eingespart werden: Neue Pumpspeicherwerke, Tagebaue als Epot-Speicher, Wärmespeicher und die Förderung von elektr. Speichern (Kondensatoren). - Sonst ist alle Solar- und Windförderung kontraproduktiv und sogar umweltfeindlich. Wir wollen doch alle nicht nur bei Sonne oder Wind kommunizieren.