Berliner Tagebuch: Kommen, gehen, stehlen
■ Berlin vor der Befreiung: 12. März 1945
Foto: J. Chaldej/Voller Ernst
Vorgestern reiste ich mit Hans Flotow bis Müncheberg. Dort trennten sich unsere Wege. Er ging nach Elisenhof und ich nach Buckow, um meinen dort ausgelagerten Smoking zu retten. Seit Elly Dohnas Weggang befindet sich das von Schinkel gebaut Schloß in einem erbarmungswürdigen Zustand. Der Rasenplatz auf der Schloßfreiheit, den früher niemand betreten durfte, ist von Panzern zerwalzt worden. Im linken Stallgebäude hat sich eine Divisionsschlächterei aufgetan, bei der die Bevölkerung nach Abfällen Schlange steht. Im Park tummeln sich 120 Stück Schlachtvieh.
Innen sind die meisten Räume mit eisernen Betten verstellt, die in drei Reihen übereinander geordnet sind. Sie dienen Flüchtlingen aus dem Oderbruch als Schlafstellen. Dazwischen hat man die Bücherborde mit den prachtvollen Keramiken stehengelassen. Die schönen Bilder hängen noch an den Wänden. Ein Saal, in dem sich Flüchtlinge waschen, ist vollgestopft mit den kostbarsten französischen Möbeln. Ich sah, wie ein Greis seine Kotstiefel auf einer Louis-Seize-Bergère ausbreitete. Alle paar Tage wechselt die Einquartierung. SS, Wehrmacht, HJ kommen und gehen und stehlen. Das Personal muß zusehen, wie Buckow vernichtet wird, noch bevor die Russen sich dort niedergelassen haben. Hans Georg von Studnitz
„Als Berlin brannte“, Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach 1985.
H. G. von Studnitz (geb. 1907), rechtskonservativer Journalist, 1932–1940 Auslandskorrespondent u. a. in Rom, London, Neu- Delhi und Kairo, 1940–45 Referent in der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes, 1945 für sieben Monate inhaftiert, in den Fünfzigern Pressechef der Lufthansa, Mitarbeit bei verschiedenen konservativen Zeitungen.
Recherche: Jürgen Karwelat
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