Komitee für Gerechtigkeit

■ Die „Erfurter Erklärung“ ist nur gut gemeint

Weiß Helmut Kohl, was Angst ist? Vielleicht, wenn er zu Hause in den Kühlschrank guckt und keine 18 Eier für seinen Karamelpudding vorrätig hat? Vielleicht. Sonst jedenfalls nicht. Gestern hat er getönt, daß ihn die „Erfurter Erklärung“ von linken Intellektuellen, Gewerkschaftern und Theologen nicht schrecke. Gut, das ist nicht besonders witzig. Aber es stimmt. Diese Erklärung muß den Kanzler wirklich nicht schrecken. Das sagt noch nicht alles über sie, aber das Wesentliche: Sie reißt keinen vom Hocker.

Die „Erfurter Erklärung“ unter dem Titel „Bis hierher und nicht weiter!“ ist gut gemeint. Ja, der soziale Konsens der Bundesrepublik darf nicht zerstört werden. Ja, wir brauchen eine andere Politik. Wir brauchen eine andere Regierung. Wir brauchen eine außerparlamentarische Bewegung. Und es wird auch Zeit, daß sich die Intellektuellen einmischen, wenn diese Gesellschaft von den Politikern schleichend verändert wird. Aber was macht man, wenn man eine Ansammlung von Sätzen liest, denen man mehr oder weniger zustimmen kann, von denen jeder zweite mit den Worten beginnt „wir brauchen“, „wir müssen“, „wir wollen“ und die mit der Aufforderung endet „Beginnen wir zu handeln“?

Wenn man den Autoren geneigt ist, aber nur dann, sieht man darüber hinweg, daß man etliche der Unterzeichner aus fast jedem friedensbewegten oder linken Aufruf kennt, und fragt zurück: Wer ist „wir“? Wie sollen „wir“ handeln? Mit wem? Wo? Ja, warum gibt es denn in diesem Land keine außerparlamentarische Bewegung? Das liegt ja kaum an Kohl. „Die Erfahrung von 1968 und der Geist von 1989 sind für 1998 aufgerufen, den Machtwechsel herbeizuführen“, heißt es weiter. Wohin, bitte schön, ist denn der Geist von 1989 verschwunden, daß wir ihn zurückholen können? Und wenn wir den Geist gefunden haben, vertragen sich dann SPD, Grüne und PDS?

Der gute Wille selbst ist das Problem dieser Erklärung. Nun sollen Intellektuelle keine Realpolitiker sein, aber ein Programm des „Wünsch dir was“ geht an den Realitäten und Problemen dieses Landes schlicht vorbei. Die „Erfurter Erklärung“ erinnert in dieser Hinsicht an die ostdeutschen Komitees für Gerechtigkeit. Sie wird genauso enden – im Nichts. Jens König

Bericht Seite 4, Dokumentation Seite 10