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Komische Kunst aus KasselDer Schubs in den Abgrund

Wichtige Instrumente der Erkenntnis: Im Kulturbahnhof Kassel lehrt die Caricatura VI den Wert unauffälliger Stopper und des Stutzens schätzen.

Alle Gewissheit aushebeln: Mehr kann Kunst kaum erreichen. Bild: Caricatura / Berger & Wehse

Als eine der wenigen Installationen steht mitten im Raum ein Hau-den-Lukas. Unten wartet ein erigierter Penis aus Gummi auf den Hammerschlag, auf dass er entlang einer stählernen Schiene hochschnelle und oben in die Vagina aus Gummi dringe. Leider ist die Installation defekt.

Ein allzu beherzter Besucher hat nach mehreren Fehlversuchen den hölzernen Mechanismus zertrümmert – er konnte nicht wissen, dass der Penis sein Ziel unmöglich erreichen konnte, weil in der Schiene ganz unauffällig ein Stopper eingebaut ist.

Das ist ein schönes Beispiel für ein produktives Missverständnis, wie es nur Kunst auslösen kann. Eine performativ zerstörte Installation aus Masturbationszubehör als diskursiver Beitrag zum gesellschaftlich brisanten Themenkomplex Fortpflanzung, Potenz, Geilheit, Kraft, Impotenz. Und Komik. Willkommen bei der Caricatura in Kassel, ohne die ein Besuch der Documenta zwar möglich, aber völlig sinnlos wäre.

Tatsächlich kann sich das Publikum im Kulturbahnhof von der „komischen Kunst“ perfekt einstimmen lassen auf den gravitätischen Gestus, mit dem ihm derzeit anderswo in Kassel Unkrauthügel oder rosafarben bepinselte Hunde als „ernste Kunst“ präsentiert werden. Diesmal mit einem vorgelagerten Anbau aus den gleichen Gerüstplatten, mit denen auch die Gedächtniskirche in Berlin verkleidet war – ein kleiner Scherz für Architekturfreunde.

So haben 107 Künstler aus sieben Ländern mit rund 600 Werken einen Platz gefunden. 300 Aquarelle, Ölgemälde, Zeichnungen oder Installationen sind in den Räumen des Kulturbahnhofs ausgestellt, 300 weitere Arbeiten digital über Tablet-PCs abrufbar – getreu dem diesjährigen Motto „analog, digital, international“.

Epistemologische Verwirrung

Die digitale Welt und die epistemologische Verwirrung, in die sie uns stürzt, ist denn auch der inhaltliche Schwerpunkt der Ausstellung. Schaut der Halbwüchsige in den nächtlichen Sternenhimmel und meckert: „Ganz schön viele Pixelfehler da draußen.“ Spricht ein schmieriger Glatzkopf seine Sitznachbarin im ICE an: „Aber natürlich kennen wir uns! Ich bin doch der Tommi, einer deiner 671 Freunde! Und es ist kein Zufall, dass wir uns hier begegnen, Tina!“ Starrt das Krümelmonster entsetzt auf den Computerbildschirm: „Cookies löschen?“

Daneben gibt es mehr oder weniger erhellende Beiträge zur Wirtschaftskrise, zum Pädophilenskandal der katholischen Kirche (Rudi Hurzlmeiers legendäre „Kirche von hinten“!) und zum Islamismus. Hier sind es vor allem belgische Cartoonisten, die den Kampf gegen das Bilderverbot aufnehmen.

Da wird dann die berüchtigte, in humoristischer Hinsicht aber enttäuschend lahme „dänische Mohammed-Karikatur“ mit der Bombe im Turban paraphrasiert – und durch eine Anspielung auf Magritte doch noch ins Komische gerettet: „Ceci n’est pas un prophète“. Sehr schön auch die Serie, die Vollverschleierung mal nicht als gesellschaftliches Problemphänomen schildert, sondern schlicht der ihr innewohnenden Lächerlichkeit preisgibt.

Ganz „ohne Worte“ kommt Kunst, die komisch sein will, nicht aus. Meistens dient der kunstvoll-würdige Pinselstrich dazu, die nötige Fallhöhe herzustellen – in den Abgrund geschubst wird dann im Text.

Hauck & Bauer, Rattelschneck, Michael Sowa, Hans Traxler, Ol, Haderer, F.W. Bernstein – gezeigt wird, möglichst im Original, die Creme deutscher Satiriker. An manchen überdimensionalen Bildern von ©Tom ist beispielsweise noch deutlich die Vorzeichnung erkennbar, anderswo offenbart erst der Blick durch die Lupe, dass hier tatsächlich mit Buntstiften gearbeitet wurde.

Erfreulich absurd

Und dennoch: Wer die taz abonniert hat, Titanic liest, beim Friseur versehentlich mal im Stern blätterte oder seine Fische hin und wieder in die FAZ einpacken lässt – der hat eigentlich schon einen recht kompletten Überblick über die Produktion komischer Kunst in Deutschland. Richtig populär ist sie nicht, sieht man einmal von der flächendeckenden Betulichkeit eines Tomicek ab, wo dann ein Fahrer mit „Bänker“-Schild um den Hals einem soeben gegen den Baum gefahrenen Auto mit dem Kennzeichen „Finanzmarkt“ entsteigt, solche Sachen.

Umso erfreulicher, wenn sich die „komische Kunst“ vollends ins Absurde aufschwingt – wie in den hysterisch sinnfreien Tableaus eines Eugen Egner oder der aufreizenden Freundlichkeit von Katz & Goldt. Was sehen wir, wenn wir ein abstrakt schneckenhaftes Geschöpf mit Cocktailschirmchen auf einem Skateboard sehen? Den „Nahostkonflikt durch die Brille eines Schwachkopfs“. So weit der Witz. Die Erkenntnis: Durch die Brille eines Experten erschiene dieser Konflikt sicher nicht weniger grotesk. Komik als der archimedische Punkt, von dem aus sich alle Gewissheiten aushebeln lassen. Kunst kann kaum mehr erreichen.

Kulturbahnhof Kassel, täglich 10 bis 20 Uhr, bis 16. September

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2 Kommentare

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  • W
    Wolfgang

    Eigentlich reicht schon ein Blick in den hamburgischen Zauberkessel, aber man darf ja nicht erzählen was man dort sieht..

  • P
    Peter

    Zitat: "Und dennoch: Wer die taz abonniert hat, Titanic liest, beim Friseur versehentlich mal im Stern blätterte oder seine Fische hin und wieder in die FAZ einpacken lässt – der hat eigentlich schon einen recht kompletten Überblick über die Produktion komischer Kunst in Deutschland."

    Nun, da ist dem Autor aber der "Eulenspiegel" entgangen!