Kolumne: Liberty eher nichtso rising
Wie Anarchokapitalisten-Kids von „Liberty Rising“ das Schwurbel-Spektrum in Deutschland um eine obskure Minderheit erweitern.
Von Elena Wolf↓
Das mit der Aufmerksamkeitsökonomie ist in Zeiten entfesselten Schwachsinns und einer dauererregten Empörungsgesellschaft ja immer so eine Sache: Gibt man dem Affen Zucker, dreht er erst richtig auf. Gibt man ihm keinen Zucker, gibt es da draußen trotzdem tausende Vollidioten, die den Schwachsinn des Affen in den Untiefen des Internets finden und ihn für keinen Schwachsinn halten – auch ohne, dass irgendein reichweitenstarkes Medium darüber berichtet hat. Klar, ich könnt‘s auch einfach lassen, denn no news sind immer noch die besten news für bad guys – aber dieser Affenzirkus ist einfach zu geil, um an ihm nicht exemplarisch aufzuzeigen, wie sehr die Realität die Satire mittlerweile überholt hat. Die Rede ist von „Liberty Rising“!
Noch nie gehört? Ja, sorry, jetzt schon. Liberty Rising, man! Junge Menschen, die „für Freiheit & Kapitalismus“ auf die Straße gehen. Weil wir noch nicht genügend davon haben! Haha, kein Witz! Als ich vor ungefähr ‚nem halben Jahr zum ersten Mal ein paar Bilder ihrer heroischen Aktivitäten in den Sozialen Medien entdeckt habe, dachte ich ernsthaft, dass das ‚ne Satire-Aktion vom „Zentrum für Politische Schönheit“, „Die Partei“ oder der „Titanic“ sei: fünf bis zehn (mehr sind es tatsächlich nie) Mittelstandskids, die – exakt wie die rechte Identitäre Bewegung – die Ästhetik der Antifa geklaut haben mit dem Unterschied, dass man ihren Transpis und Bannern die teuren Plotter ihrer Väter ansieht. Drauf steht dann sowas wie „Berufsverkehr statt Klimakleber“, „Industrie & Kapitalismus statt Ökodiktat“ oder „Leistung statt Hängertum – Sozialstaat abschaffen“. Die „größte radikal-liberale Jugend im deutschsprachigen Raum“ will Libery Rising sein und tritt trotz ihrer nur rund 100 Mitglieder in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf wie FDP ihr vollgekokster Enkel: „Junge Menschen wohnen in lichtdurchfluteten Wohnungen und beginnen ihren Tag mit High-Intensity-Training und hohen Gewichten. Danach checken sie ihre Krypto- und Aktienportfolios und freuen sich über die niedrigen Steuerraten von fünf Prozent, welche ihnen baldigen Wohlstand ermöglichen. Die Regierung befindet sich in den letzten Vorbereitungen, den Staat ganz durch freiwillige Abgaben zu finanzieren“, heißt es in einer der zahlreichen „Visionen“ auf der Website von Liberty Rising. Daneben ein Foto von einem kaum 20-jährigen Jüngling in offener Trainingsjacke über seinem nackten, zart behaarten Oberkörper.
Hahaha, shit!
Auch geil, die „Vision“ eines anderen radikal-liberalen Turbokapitalistenkids: „[...] jedes Kind, selbst aus dem ärmsten Plattenbauviertel, kann von seinem Fenster aus die neuen Wolkenkratzer der lebhaften Metropolen leuchten sehen. Auch ihm gegenüber lautet ihr Versprechen: Die Großartigkeit und Größe ist auch in Deinem Leben möglich. Möglich durch Fleiß, Verstand und Beharrlichkeit.“ Hahaha, shit. Es ist wirklich unfassbar, wie hart diese Welt diesen Kids ins Gehirn geschissen hat. Wie sie die vor allem im US-amerikanischen Kontext bekannte Ideologie des „Anarchokapitalismus“ wahrscheinlich mal irgendwo beim Googeln von „Bitcoin“ und „Kryptowährung“ im Internet entdeckt und sich dann im Kinderzimmer so gedacht haben: „Yo, geil, einfach auf Schwächere scheißen, das isses!“
Why not einfach die Libertarian Party in Deutschland nachspielen? Why not einfach die Verteidigung des Rechts auf Holocaustleugnung und das Recht auf Waffenbesitz zur Verteidigung von Privatbesitz nach good old Germany holen? I mean: Hallo? What‘s wrong with Freiheit? Was können wir dafür, wenn sich die dummen Armen ihre krummen Beine brechen und kein money für medizinische Behandlung haven? Why should I care wenn die Plattenbaumenschen nicht willing enough sind, ihr talent zu cashen und hard enough hustlen, damit sie im Wolkenkratzer chillen können? Hää? Why?? Why den ollen Marx lesen, wenn man ne Zusammenfassung von Ayn Rands „Atlas Shrugged“ auf dem Stepper im Gym readen – oder noch geiler, sich vorlesen lassen – kann? Fuck Sozialstaat! Marktchauvinismus rocks!
Denn die, die nach Ayn Rand, der Chefideologin des Turbokapitalismus, die Welt auf ihren Schultern tragen, sind die Entrepreneure! Diese edlen Geister sind es, die auch die Kapitalismus-Kids werden wollen: gierige, egozentrische Idealmenschen, die auf Schwächere scheißen, Solidarität ablehnen und ernsthaft glauben, dass, wenn jeder an sich selbst denkt, allen geholfen ist. Selbst Ayn Rand wusste, dass das nicht wahr ist, meine Fresse, es ist so absurd: Als Donald Trumps Lieblingsdenkerin an Lungenkrebs erkrankte, hat sich die Sozialstaathasserin Rand einfach mal schön über ihren Mann Sozialhilfe abgecheckt und sich unter seinem Namen kostenlose medizinische Versorgung in den USA rausgelassen! Wie so‘n Reichsbürger auf Hartz IV, wow!
Kapitalismus-Sommercamp fürs Ego
Ist nicht so, dass ich mich über sowas noch groß wundere seit Verschwörungstheorien und Alternativmedien den religiösen Glauben von Millionen Menschen weltweit ersetzt haben. That‘s just that. Aber wenn ich dann im „Focus“ eine Kolumne von einem religiösen Finanzkasper und Fitnessfreak wie Rainer Zitelmann (Google-Bildersuche, bitte!) lese, der glaubt, Menschen ernsthaft weismachen zu können, dass Liberty Rising „durchaus Anklang“ findet, dann muss ich schon laut lachen. In seinem Text „Jung, rebellisch, kapitalistisch: Kennen Sie schon die Anti-Klima-Kleber?“ versucht Zitelmann seinen geistigen Sprösslingen Starthilfe zu geben, nachdem sich in Deutschland einfach niemand für ihren importieren libertären Schwachsinn interessieren will und die „Klima-Kleber“ die Aufmerksamkeits-Rangliste anführen. Mit Rechten hat der ganze Liberty-Rising-Quark aber selbstverständlich nix am Hut, wie Liberty Rising-Gründer Stefan Griese in Zitelmanns Text anklingen lässt, denn jetzt kommt‘s: Große Teile der libertären Szene in Deutschland seien im Verlauf der letzten Jahre „immer konservativer, AfD-näher, verschwörungstheoretischer und russlandfreundlicher“ geworden. Deshalb sei man ab 2022 auf Distanz gegangen.
Warum das im radikal-liberalen Hirn nicht wehtut, ist schwer zu beantworten. Mit Liberty Rising hat Deutschland jetzt eben eine kleine Ich-Ich-Ich-Sekte mehr. Schon scheiße. Aber eben so hilarious-scheiße, dass sich auf die Straße zu kleben und von wildgewordenen Männern, die zur Arbeit wollen, verprügelt zu werden für junge Leute sinnvoller ist.
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