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KolumneSie haben das Recht, zu spenden

Kommentar von Adrienne Woltersdorf

Wie ich einmal und auch nur fast gegen meinen Willen der US-Polizei Geld geschenkt habe

Z unächst die gute Nachricht: Der US-amerikanischen Polizei geht so langsam, aber sicher die Munition aus. Und nun die schlechte Nachricht: Denn die Munition, die sonst in den Hinterhöfen des Landes auf Schwarze und Latinos hagelt, wird immer konsequenter im Irak verballert. Das erzählte mir kürzlich Lieutenant Victor Grant, ein hünenhafter afroamerikanischer Polizist in Altanta. Der "Lutennend" beklagte sich, dass er früher Munitionsnachschub binnen wenigen Tagen nach Bestellung geliefert bekam. Heute müsse sein Abschnitt bis zu vier Monate auf die Kugelpakete warten. Immer öfter müsse er seinen Beamten sagen, dass sie nur kugelsparend Dienst tun sollen, wenns bis zur nächsten Postsendung noch reichen soll.

Bild: privat

Adrienne Woltersdorf (40) berichtet seit 2005 für die taz aus Washington. Faszinierend an den USA findet sie, dass sich alle Vorurteile bestätigen lassen - und zugleich widerlegen.

Ich erzähle das nur, um damit das unschöne Thema Polizei mental einzuleiten. Zumal in meiner neuen Heimat, Washington, die Bullen eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Sicherheit sein können. Nach dem Motto, erst wird geschossen, dann gefragt, wirft man sich als Bürger am besten Schutz suchend hinter Betonmauern, wenn die oft heftig beleibten Uniformierten laut kreischend in Aktion treten. Doch ich muss eine absolute Peinlichkeit gestehen: Ich habe, holy shit, der Polizeibruderschaft von Washington Nord-West Geld gespendet!

Ich weiß auch nicht wirklich, wie es dazu kam. Meine Abwehrkräfte reichen sonst von sechs Uhr morgens bis tief hinein in die amerikanische Nacht, um am Telefon offerierten 0,0-Prozent-Krediten, Adoptionsaufrufen vertrocknender Alleebäume und Eisbärrettern standhaft zu entsagen. War es die brütende Hitze oder weil ich zuvor stundenlang versucht hatte, von elektronischen Menüs des US-Finanzamtes meine Steuernummer zu erfragen? Ich konnte dem sympathischen Polizisten am anderen Ende der Leitung noch entgegenhalten, dass ich aus einem Land komme, in dem man erwartet, dass die Polizisten ausreichend vom Staat versorgt werden, dem sie ihre Arbeitskraft zu Verfügung stellen. Ich fände es daher merkwürdig, dass die Polizei nun ausgerechnet bei den BürgerInnen um Geld betteln müsse, um ihre verunfallten Kollegen und deren Familien zu unterstützen.

"Lady", flötete der Mann am anderen Ende, "sie haben so recht. Doch wer von uns fragt nach dem Staat und ob er fair ist, wenn wir unsere Pflicht tun und Ihnen zur Hilfe kommen?"

Mir fiel sofort die Szene wieder ein, als der Liebste und ich erst ein paar Monate in den USA angekommen waren. Obwohl wir in einer Straße mit "Neighborhood Watch" lebten, mussten wir bald den ersten Autoeinbruch melden. Nach unserem Anruf kam gemütlich ein schwarzer Polizist angefahren, besah sich die eingeschmissene Autoscheibe und begrüßte uns dann fröhlich mit "Hey, welcome to America!" Er kritzelte schnell ein paar Notizen in seinen Block. Währenddessen ließ sich seine Kollegin von uns Deutschen eine Gangschaltung erklären. Sie werde bald nach Germany reisen und wolle dort auf einer Autobahn mal so richtig rasen, sagte sie. Leider habe sie Angst vor den Gängen - in den USA fahren alle mit Automatik.

Mir fiel dann noch unsere Überraschung ein, als wir ein paar Tage später das Protokoll auf der Polizeiwache abholten. Nicht dass der Stubenmief in Washington anders wäre als in Berlin-Neukölln. Aber aus Lautsprechern perlte Jazz. "Werden sie 100 Dollar für die Hinterbliebenen unserer im Dienst umgekommenen Kollegen spenden oder nur 50 oder wenigstens 35?", fragte nach wie vor liebenswürdig der Mann von der Polizeibruderschaft Nord-West. "Sie bekommen auch eine tolle Sponsorenplakette."

Ich musste an LieutenantGrant in Atlanta denken. Als Bulle war mit ihm bestimmt nicht gut Kirschen essen. Aber nach unserem Interview kündigte er an, er werde mir jetzt das Wichtigste zeigen. Bevor ich etwas sagen konnte, hatte er Gas gegeben - und fuhr mich vor das Martin- Luther-King-Zentrum. Der Reverend und sein Kampf, das sei für ihn Amerika. Ich stellte mir kurz vor, ob jemals ein deutscher Bulle einen Fremden in die Rudi-Dutschke-Straße fahren würde? "Okay, ich gebe 35", sagte ich.

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