Kolumne: Birthday greetings, bottle of wine
Wer popmusikalisch relevante Geburtstage angemessen begehen will, muss offenbar früher aufstehen.
9 .09 sagt der Radiowecker - eine komische Zeit, zum Frühaufstehen zu spät, zum Spätaufstehen zu früh. Und der Popmusikfreund denkt natürlich an - na? Aber sicherlich: "One After 909". "My baby says shes travling on the one after 909. I said Move over, honey, Im traveling on that line. I said move over once, move over twice, come on baby dont be cold as ice." John Lennon hat dieses fröhliche Nahverkehrs-Anbaggerlied Ende der 50er geschrieben, und die Beatles probierten Anfang der 60er in einer frühen Session damit herum, verwarfen es aber. Noch mal gespielt haben sie es dann 1969 bei den "Get Back"-Sessions, die schließlich das Album "Let It Be" wurden, mit dessen Veröffentlichung wiederum es die Beatles dann auch sein ließen.
Josef Winkler, 34, bald aber 35, was ihn nicht unerheblich emotional bedrängt, obwohl er seinen 30. damals noch ganz locker genommen hat (was ist nur los mit ihm?), lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt in München und Palling und hat noch nichts für die Unsterblichkeit getan, ja: Er hat noch nicht mal einen Hund! Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen.
Paul McCartney hatte den Song wieder hervorgekramt; er war auf dem Retro-Trip gelandet, mit 26, in der Hoffnung, die Musik und das Gefühl der guten alten Anfangstage werde seine vom Erwachsenwerden zerrüttete Band wieder ein klein wenig so zusammenschweißen wie in jenen unbeschwerten, erst wenige Jahre zurückliegenden, doch so unendlich fernen Tagen in den Kellerclubs. Damals hatte McCartney ein zartironisches kleines Music-Hall-Liedchen, das er als Füller sang, wenn es mal wieder irgendwelche technischen Probleme gab. Es hieß "When Im Sixty-Four", und aufgenommen wurde es erst ein halbes Jahrzehnt und eine halbe kulturelle Revolution später, Ende 1966 für das "Sgt. Peppers"-Album.
Am Montag hatte Paul McCartney Geburtstag, und seinen 64., fand ich, sollte ich aus alter Verbundenheit in irgendeiner Weise begehen. Das hatte ich mir immer mal gedacht: Wenn Paul McCartney 64 wird, dann ja, was dann? Dann ist das irgendwie lustig.
Und auch ein klein wenig bedeutsam. Weil sich da ein Kreis schließt, sich ein Wort erfüllt, sozusagen ein Beleg erbracht wird dafür, dass die Zeit tatsächlich vergeht, wenn sie mal eben im Vorbeihuschen einen kleinen utopischen Popsong sozusagen updated. Wenn Paul McCartney (mal ganz abgesehen von dem Jugendlichkeitswahn, dem der zuletzt anheimgefallen war) tatsächlich mal 64 werden kann. Ich weiß noch vage, wie 1984 das große "Orwelljahr" war, mit vielen Diskussionen über Datenschutz und überwachungsstaatliche Tendenzen (über die sich der Schäuble wahrscheinlich damals schon halbtotgelacht hat). So hätte ich nun gern das Päulejahr ausgerufen, vielleicht als Gedenk- und Mahnjahr für das in Ewigkeit von Erhöhung bedrohte Renteneintrittsalter. Stellen Sie sich also meine Konsternation vor, als ich vorhin in ein Buch reinschaue und sehe, was ich, ähem, eigentlich hätte wissen müssen: Paul McCartney ist ein 42er Jahrgang und mein Päulejahr an diesem 18. Juni hier quasi schon vorbei, bevor es überhaupt begonnen hat. Um ein Jahr vertan. Na so was.
Die Beschäftigung mit Popmusik ist ein effektiver Weg, sich die absurden Effekte des Zeitverflugs vor Augen zu führen. Alles bewegt sich in so kurzen Schritten - es ist ja so ein "schnelllebiges Geschäft" -, dass in der gelegentlichen Rückschau die in der Tat zurückgelegten Zeiträume schier grotesk erscheinen. Als ich zum ersten Mal "When Im Sixty-Four" hörte, war Paul McCartney knapp über 40 und fand das Alter, in das er sich da vor zwei Jahrzehnten hineinimaginiert hatte, wahrscheinlich auch immer noch kurios.
Ich selbst war zwölf und der Gedanke an ein 40- oder gar 64-Sein pure Science-Fiction. Zumal die Geburtstagsdaten jenseits dieser mythischen, irrealen Zahl 2000 lagen, Jahreszahlen, die man aus Science-Fiction-Filmen kannte. Überall gibts immer noch die "Blume 2000"-Läden, die wahrscheinlich einst die florale Grundversorgung für eine zukunftsgewandte Aufbruchsgesellschaft sicherzustellen sich auf die Fahnen geschrieben hatten und heute rumstehen wie the Blumenladenkette that time forgot. Imaginäres Tumbleweed rollt vor den Blumenladentüren auf und ab.
Ich gehe imaginär hinein, kaufe eine Blume und schicke sie Paul McCartney. Der soll mit 65 jetzt nicht denken müssen, es mag ihn keiner mehr.
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