Kolumne: Freunde findet man schnell wieder

Abschied ist kein scharfes Schwert, zumal beim Umzug aus der Hauptstadt in die sehr kleinen Verhältnisse zurück.

Gunnar fragt, ob es denn keinen Prosecco gebe, und Marie guckt wie die Claudia ebenso durstig. "Wär schön, wenn wir jetzt anstoßen könnten." Nadja ruft strahlend zurück, "ja, hab ich im Rucksack, nicht so mehr so kalt", wobei ihr Sebastian in den Satz fällt und sagt, "macht doch nix". Man sieht diese vier jungen Menschen und weitere sieben ihrer Sorte im Weinbergspark, das ist eine drogendealerheimgesuchte Grünanlage am südlichen Rand des Prenzlauer Bergs, unterhalb eines schicken, leider absolut teuren Restaurants stehen Bänke, auf der und um die herum sich diese Gruppe sammelt.

Aus der Ferne erinnern sie an Traurige, aber sie sprechen fröhlich, gleichwohl doch Nadja, eine "Contentmanagerin" für ein globalisierungskritisches Internetportal, wirklich melancholisch sein müsste. Denn sie zieht um, aus Berlin wieder weg. Vor vier Jahren kam sie her, natürlich nahm sie Quartier hier in dieser quasi national befreiten Zone um die Kastanienallee herum, ein Zimmer, 250 Euro, nicht billig, aber sie wollte dorthin, wo die Musik spielt, eben in die Szene, ins Leben zwischen Caffe latte, Bionade und Vollkornbrot aus ökologischer Herstellung.

Das mag jetzt böse klingen, aber Nadja und ihre echten Lebensfreunde, die sie, ehrlich betrachtet, erst seit wenigen Monaten kennt, fühlte sich wohl in diesem Berlin. Nie, klar, die Stadt ist ja echt groß, ist sie über Friedrichshain, ihr Wohnviertel und Mitte herausgekommen. Selbstverständlich hatte sie alles politisch Korrekte parat, wusste, dass Rassismus schon ist, wenn man Negerkuss sagt, und Ausbeutung, wenn man weißen Zucker kauft, nicht Rohrzucker.

Man erkennt nicht ernsthaft, ob sie aneinander hängen, wie sie da so sitzen in der frühtropischen Luft dieses Sommers am Rosenthaler Platz, ob sie Nähe spüren, aber sie teilen das gleiche Schicksal: Nach Berlin gekommen zu sein, um enttäuscht zu werden, weil sie keinen festen Stand kriegten in dieser Metropole. Weil nicht alles Spielplatz ist, was sie unter Arbeit verstehen, weil sie plötzlich feste Arbeitszeiten hatten und Interessen ihrer Jobgeber, was sie Output-Erwartungen nannten.

Nadja jedenfalls sehnte sich schon nach Wochen nach ihrem Zuhause, ohne dass sie dieses Wort benutzt, Weltbürgerin, als die sie sich versteht. Sie kam ja aus Nordhorn, was ein Städtchen an der Grenze zu den Niederlanden ist, proper, aber doch zu klein für alle, die es unter der ganzen Welt biografisch nicht machen wollen. Nach dem Studium wusste sie alles und ging nach Berlin, zehn Euro die Stunde in der Internetklitsche, aber "lecker Ökokaffee in der Büroküche". Ins Niedersächsische zog es sie schließlich immer wieder zurück, manchmal nahm sie Arbeit mit, an den Wochenenden, DSL hatten ihre Eltern ja auch.

Das konnte vielleicht nicht gut gehen: Wer in Berlin bestehen will, darf niemals viel Heimaturlaub nehmen, das macht Heimweh. Nadja konnte schließlich nicht mehr. Freundinnen und Freunde wechselten wie die Trends wöchentlich, sie bekam einen Job in einer Werbeagentur von Bremen, immerhin näher an Nordhorn, aber nicht Berlin. Nadja sagt: "Ich komme immer wieder." Sie nimmt alle in den Arm. Auf diese typische Art, wie es nur Menschen in Mitte tun. Das sacht federnde Aufeinanderzugehen, das beinah körperlose In-den-Arm-Fallen, das Zur-Seite-Neigen der Köpfe, das Schmunzeln, das ins Traurig-Seufzende wechselt, das Drücken der Arme, die angedeuteten Küsse auf die Wangen. Ciao Annette, machs gut, Sebastian, wir sehen uns wieder, rühren dann Schaum im Milchkaffee, erinnern uns an die Stadt, als wir uns in die große Stadt wagten.

Nach zwei Stunden war Nadja wieder allein. Fast. Sie hatte ihr Handy noch, und das ist gegen Einsamkeit ja schon die halbe Miete. Ruft an, mehrmals. Immer die Mailbox offenbar nur besprechbar. Nadja kann nicht an sich halten, sie wählt eine Nummer, auswendig. Kriegt auch Anschluss, sagt: "Hallo Mama super hier bald in Bremen Keine Angst Freunde hat man doch schnell wieder." Tatsächlich dauert das Gespräch vier Minuten, aus leichter Distanz scheint es, als ob sie weint.

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