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KolumneAlphas, wir müssen reden!

Kommentar von Susanne Lang

Maybrit Illner. Henryk M. Broder. Hans-Ulrich Jörges. Sie sind: "Die Alpha-Journalisten". Na dann mal los!

A b und an verliere ich meine Meinung. Einfach so. Diffuse Leere überall da, wo zuvor noch Haltung war. Anstrengend. Wer seinen Schlüsselanhänger verliert, geht ins Fundbüro. Oder kauft sich einen neuen, nachdem sie den Schlüsseldienst die damit einhergehenden Unannehmlichkeiten erledigen hat lassen. Für verlorene Meinungen hingegen gibt es meines Wissens keine Anlaufstelle. Andererseits: So ohne Meinung lässt es sich bisweilen ganz angenehm leben. Dachte ich.

Bis eine Einladung ihren Weg just auf meinen Schreibtisch fand: Buchvorstellung, bei Pasta und Wein, im gesetzten Berliner Westen ganz in der Nähe des nun weltberühmt gewordenen Berliner Zoos, mit Talkrunde und seltsamen Wesen: den "Alpha-Journalisten". So lautete der Titel des Buches. Ja, was meinen Sie wohl? Richtig. Da war ich doch neugierig geworden.

An jenem besonderen Abend, als ich mich auf den Weg gemacht hatte, peitschte der Sturm den Regen durch die Straßen des Westens. Nur das "Vapiano", jenes besondere Event-Italienerchen, präsentierte erhaben über zwei Stockwerke hinweg seine erleuchtete Glasfront, an der der Regen abzuperlen schien. Hier also hatten sich "Deutschlands Wortführer" eingefunden, wie die porträtierten "Alpha-Journalisten"-Wesen im Untertitel des Buches etwas präziser definiert sind. Ich erhielt Einlass und ein Glas Prosecco in die Hand. Die anderen waren alle bereits in bester Verfassung und plauschten in einer Rotenramschsofaecke für alle Anwesenden gut einsehbar über dieses und jenes.

Henryk M. Broder, freier Publizist, tat dies seinem Image des Badbadboys gemäß, indem er gelangweilt lümmelte und süffisant lächelte. Maybrit Illner, die ZDF-Polittalkerin, tat es ebenso adäquat mit hochgezogenen Augenbrauen, Stirnrunzel-Acting und kameratauglichem Lächeln. Schließlich Hans-Ulrich Jörges, der Stern-Zwischenrufer, gab sich verdächtig unauffällig. Hajo Schumacher wiederum, der Moderator des alsbald beginnenden Talks und einer der Autoren der im Buch versammelten Porträts, gab sein Bestes und sah einfach nur gut aus.

Dann gingen die Scheinwerfer an und die Mikrofone liefen heiß. Ja, und was meinen Sie wohl? Richtig. Die drei Herren und die Dame von den Alphas klärten eine Stunde lang die wichtige Frage, was und wer nun eigentlich ein Alpha sein könnte. Ich fasse zusammen:

- Sie gucken als Erstes nach, wer sich unter den im Buch Porträtierten befindet und wer (zum Glück) nicht (Broder).

- Sie halten das für eine "Totschlag-Kategorie", da die Definition von Alpha-Wesen im Tierreich besage, andere wegzubeißen und immer mit erhobenem Schwanz das Rudel anzuführen (Wer wars? Richtig: Broder).

- Sie finden, dass niemand in ihrem Beruf die Selbstzweifel verlieren dürfe (Illner).

- Sie bestehen darauf, dass Leser klüger sind, als die "Alphas" selbst so denken, außer wenn jene Leser die "Alphas" wegen Volksverhetzung verklagen wollen (wie im Falle Jörges versucht).

- Sie bereuen meist eine Sache ihres "Alpha"-Daseins, im Falle von Jörges jene legendäre Kolumne, in der er vor der Bundestagswahl 2005 die SPD für tot erklärt hatte - die Scheintote bekanntlich nun aber in einer Koalition regiert.

- Sie haben immer zu allem eine Meinung, selbstverständlich gerne zu sich selbst.

- Sie finden den Titel "Alpha-Journalist" anmaßend (Illner).

- Sie diskutieren, wer "Beta" und "Gamma" ist.

Der Prosecco zeigte langsam seine Wirkung. Ein prickelnder Abend. Letztlich, so meinte ich verstanden zu haben, sind "Alpha-Journalisten" sehr wichtig. Sie sind der Schlüsseldienst für all die Menschen im Land, die für längere oder kürzere Zeitspannen die Welt nicht klar sehen. Sie machen den geistigen Zugang zu einem komplexen Weltgeschehen möglich: hier die Guten, dort die Bösen. Hier die Lösung, dort das Problem. Vielleicht aber habe ich das Abschieds- und Dankeschön-Präsent des Abends auch nur falsch verstanden: ein von Designern extra angefertigter Schlüsselanhänger, an dem ein rotes "Alpha" baumelt.

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1 Kommentar

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  • AZ
    Anke Zöckel

    Ohne Meinung und in betont lässiger Haltung lässt es sich offenbar bisweilen tatsächlich ganz angenehm leben. Eine ganze Menge Leute jedenfalls behaupten das. Wohl zu Recht, denn ob ein Mensch sich wohl fühlt, kann nur er selbst beurteilen. Aber auch für all diejenigen, die sich ohne Meinung und in fragwürdiger Haltung unwohl fühlen, die sich allerdings außerstande sehen, beides selbst zu entwickeln, hat der deutsche Sozialstaat Vorsorge getroffen. Für diese Sorte Menschen gibt es den gesetzlich besonders geschützten Meinungsmacher, auch Wortführer genannt.

     

    So weit, so klar. Nachfrage zeugt Angebot und umgekehrt. Der Staat fördert - oder auch nicht. Erhebt sich lediglich noch die Frage nach der persönlichen Motivation. Wieso, wenn nicht ausschließlich zum Zwecke des Gelderwerbs, müssen die Damen und Herren Alpha-Journalisten ausgerechnet in aller Öffentlichkeit nach ihrer in einem Teil der Fälle offenbar verloren gegangenen, in einem anderen Teil aber auch noch gar nicht gewonnenen Meinung suchen? Und wieso, zum Henker, lassen sie sich von der Öffentlichkeit dafür bejubeln, wenn sie sie endlich (wieder-)entdeckt haben?

     

    Diese beiden Fragen könnte einem unter Umständen auch ein sachkundige Psychoanalytiker letztgültig beantworten. Vorausgesetzt natürlich, dieser Mann wäre ein unumstrittener Alpha-Arzt. Anderenfalls nämlich würden seiner Antwort alsbald heftigste Proteste und das aller größte Gerangel unter den übrigen Alpha-Arzt-Anwärtern folgen. Vom dissonanten Gequake der restlichen Öffentlichkeit ganz abgesehen. Und nicht einmal eine ganz persönliche Beantwortung der Fragen durch die Betroffenen selbst, ergänzt durch einen Schwur bei Gott, könnte das hieraus erwachsende Chaos, in dem die eigentliche Fragestellung alsbald hoffnungslos versinken würde, dann noch verhindern.

     

    Die noch viel interessantere Frage allerdings, was an der persönlichen Haltung eines Herrn Broder oder einer Frau Illner von so überragendem öffentlichen Interesse sein könnte, dass eine ganze Gesellschaft die Genannten zu ihren Alpha-Tieren ernennt, bleibt vermutlich auf alle Zeiten unbeantwortet. Diese Frage nämlich müsste man, genau genommen, nicht an irgendwelche Alpha-JournalistInen oder an Berufs- bzw. Hobby-Psychologen stellen, sondern an die sie bewundernde Öffentlichkeit. Und wer sollte für diese Öffentlichkeit schon antworten?